Du sollst nicht schlafen: Thriller (German Edition)
ist bloß irgendeinem Psycho aus deinem Büro passiert. Und der ist nicht gerade repräsentativ. Falls du es noch nicht gemerkt haben solltest: Es schlafen schon viele nicht mehr, ohne dass unsere Gesellschaft in Auflösung begriffen wäre. Ehrlich gesagt, Cynthia, klingst du langsam etwas paranoid.«
Karen kam zurück und griff nach ihrem Bier. »Du bist dran, Cynthia.« Als sie die angespannte Atmosphäre bemerkte, fragte sie: »Was ist denn?«
»Frag Judy«, sagte Cynthia. »Ich will nicht mehr darüber reden.«
Sie nahm die erste Kugel, die sie in die Finger bekam, und legte sie wieder weg. Plötzlich schnürten ihr Tränen die Kehle zu. Mein Gott, sie stellte sich wirklich an. Aber sie wurde das Gefühl nicht los, dass alles um sie herum außer Kontrolle geriet. Dass die Welt krank war und immer kränker wurde.
Auf der Bahn nebenan nahm ein Mädchen Anlauf, rot-weiß-blaue Schuhe blitzten auf. Die Kugel sauste die Bahn hinunter und traf die Pins genau in der Mitte. Das Mädchen vollführte einen Freudentanz. Hinter ihr, ganz am anderen Ende des Saals, hing ein Werbebanner an der Wand, das Cynthia noch gar nicht bemerkt hatte: »Ten Pins – jetzt rund um die Uhr geöffnet«. Sie stellte sich reihenweise Bowler vor – alle mit einer Kugel in der Hand und dunklen Augenringen –, die sich dazu beglückwünschten, ihr Spiel zu verbessern, während die Normalsterblichen schliefen. Sie nahm eine rote Kugel und fuhr mit der Hand über ihre kühle, glatte Oberfläche.
»Los, mach schon!«, rief Karen vom Sofa aus. »Wird das heute noch was, oder willst du nur fummeln?«
Cynthia rief sich zur Ordnung. Sie würde diesen Wurf machen, sämtliche Pins umnieten, ihre Tasche nehmen, sich in vornehmes Schweigen hüllen und gehen, ohne Judys Applaus zu beachten. Konzentrier dich!, ermahnte sie sich und starrte die Bahn hinunter. Sie atmete dreimal tief durch und holte dann Schwung. Die Kugel sauste direkt auf die Pins zu. Sie sah ihr nach, biss sich auf die Unterlippe und wollte plötzlich unbedingt, dass ihr der Wurf gelang. Es sah so aus, als würde die Kugel sämtliche Pins abräumen. Aber kurz vor dem Ziel driftete sie nach links. Hilflos sah Cynthia zu, wie sie weit von der Bahn abgelenkt wurde. Ein Pin fiel um, und ein anderer geriet leicht ins Schwanken, bevor er dann doch stehen blieb. Ein Punkt.
»Ich kann nur verlieren«, sagte sie, ohne sich zu ihren Freundinnen umzudrehen.
18
Ich hasse Ratten. Ich hasse sie fast so sehr wie Schlangen, und das will schon was heißen. Als ich also sah, wie eine bei Full Bloom quer durchs Gewächshaus lief – trippelnde Füße und spitze kleine Ohren –, schrie ich laut. Ich weiß, das ist peinlich: ein erwachsener Mann, der laut aufkreischt. Aber ich konnte nicht anders. Zum Glück hörte mich nur Norma, die nette dicke Frau, die die Blumen arrangiert und freitags an der Kasse sitzt. Sie trat in die Tür zum Gewächshaus.
»Meine Güte, was ist denn hier los?«
Ich zeigte auf einen Hibiskustopf in der Ecke. Mein Finger zitterte, und ich hatte Schwierigkeiten, die Worte herauszubringen. »Eine Ratte. Riesig. Dahinten.«
Norma runzelte ungläubig die Stirn. »Bist du sicher? Ich habe hier noch nie eine Ratte gesehen. Eine Maus vielleicht?«
Ich schüttelte den Kopf und konnte den Blick nicht von dem Blumentopf abwenden. »Nein«, sagte ich. »Ich kann doch eine Maus von einer Ratte unterscheiden. Und das hier war eindeutig eine Ratte.«
Norma wischte die Hände an ihrer Schürze ab und sagte: »Also, die kann hier unmöglich rumrennen und die Kunden vergraulen. Wir müssen sie loswerden.«
Diese Idee gefiel mir ganz und gar nicht. Keine zehn Pferde würden mich in die Nähe dieses Blumentopfes bringen. Nicht bei neun Pfund die Stunde – nicht mal für hundert Pfund! Norma hatte wohl gemerkt, was in mir vorging,denn sie ging ins Büro und kehrte mit einem Karton zurück, der an einer Seite offen war.
»Gut«, sagte sie. »Ich werde ihr diesen Karton überstülpen, und du beschwerst ihn mit einem Stein. Das wird unser Rattengefängnis, bis wir jemanden geholt haben, der sie wegschafft.«
Einen Stein auf eine Schachtel legen – das müsste ja wohl zu machen sein. Also nickte ich, griff hinter mich und tastete bei den Japan-Accessoires nach einem schönen großen Stein. Ich ließ den Hibiskus nicht aus den Augen, aber nichts rührte sich.
»Sind Sie sicher, dass sie noch dort ist?«, flüsterte Norma und ging mit dem Karton langsam auf den Topf zu. Alter Schwede, die
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