Du sollst nicht sterben
Sie merkte nicht, dass er ein kleines Loch in die Decke ihres Schlafzimmers gebohrt hatte. Manchmal lag er ganz still auf dem Dachboden über ihr und sah zu, wie sie einem Mann mit ihren Schuhen wehtat. Er beobachtete sie dabei, wie sie die spitzen Absätze in die nackten Rücken der Männer bohrte.
Dann wieder schloss sie Jak mit einem Tablett voller Essen und einem Eimer in seinem Zimmer ein und ließ ihn nachts allein. Er hörte, wie die Tür abgeschlossen wurde und ihre Schritte auf den Dielenbrettern verklangen.
Sie wusste nicht, dass er sich mit Schlössern auskannte. Dass er jede Fachzeitschrift und jedes Handbuch, die er in der Bibliothek gefunden hatte, auswendig gelernt hatte. Er wusste so ziemlich alles, was man über Zylinderschlösser, Sicherheitsschlösser und Schnappschlösser wissen musste. Es gab kein Schloss und keine Alarmanlage auf diesem Planeten, die Jak nicht knacken konnte. Natürlich hatte er es nicht bei allen versucht. Das würde viel zu lange dauern.
Wenn sie wegging und ihn allein ließ, wartete er, bis das Klacken ihrer Schuhe verklungen war. Dann öffnete er das Schloss seiner Schlafzimmertür und ging in ihr Zimmer. Er legte sich nackt auf ihr Bett, atmete den üppigen Moschusduft ihres Parfums ein und den Zigarettenrauch, der noch in der Luft hing. Dabei hielt er einen ihrer Schuhe in der linken Hand und erleichterte sich mit der Rechten.
So beendete er auch heute noch jeden seiner Sonntagabende.
Dieser Abend war besser denn je! Er sammelte Zeitungsartikel über den Schuh-Dieb. Er hatte sie wieder und wieder gelesen, nicht nur im Argus, auch in anderen Zeitungen. Den Sonntagszeitungen. Der Schuh-Dieb vergewaltigte seine Opfer und nahm ihre Schuhe mit.
Oh ja.
Er versprühte Shalimar in seinem Zimmer, kurze Sprühstöße in jede Ecke und einen längeren zur Decke genau über seinem Kopf, so dass winzige, unsichtbare Dufttröpfchen auf ihn niederschwebten.
Er stand da, erregt, begann zu zittern. Sekunden später war er schweißüberströmt und atmete mit geschlossenen Augen, weil der Geruch so viele Erinnerungen weckte. Er zündete sich eine Zigarette an und atmete den süßen Rauch tief ein, behielt ihn einen Augenblick in der Lunge und stieß ihn dann durch die Nasenlöcher aus, wie seine Mutter es getan hatte.
Dieses Zimmer roch jetzt nach ihr. Ja.
Zwischen den Zügen knöpfte er sich die Hose auf, wobei seine Erregung wuchs. Dann legte er sich auf sein Bett, berührte sich und flüsterte: Oh, Mami, oh ja, Mami, ich bin so ein böser Junge!
Aber dann dachte er an die richtig schlimme Sache, die er getan hatte. Und das erregte ihn nur noch mehr.
54
Jetzt
Montag, 12. Januar
Um 7.30 Uhr am Montagmorgen war Roy Grace in düsterer Stimmung. Das neue Jahr war noch keine zwei Wochen alt, und schon hatte er drei brutale Vergewaltigungen aufzuklären.
Er saß in dem Büro, in dem er sich nie wohlgefühlt hatte, obwohl seine vorherige Inhaberin, die tyrannische Alison Vosper, nicht mehr da war. Statt ihrer thronte nun Assistant Chief Constable Peter Rigg hinter dem großen Schreibtisch aus Rosenholz. Und zum ersten Mal hatte man Grace in diesem Raum tatsächlich etwas zu trinken angeboten. Er genoss den starken Kaffee, der in einer eleganten Porzellantasse serviert worden war.
Der neue ACC war ein schicker, distinguiert wirkender Mann mit frischem Gesicht, konservativem Haarschnitt und einer scharfen, gebildeten Stimme. Obwohl ein Stück kleiner als Grace, hielt er sich militärisch gerade, was ihn deutlich größer wirken ließ. Er trug einen dunkelblauen Anzug mit diskreten Nadelstreifen, ein elegantes weißes Hemd und eine auffällige Krawatte. Die Fotos an den Wänden und auf seinem Schreibtisch verrieten, dass er sich für Autorennen interessierte, was Grace mit Freude konstatierte, weil sie somit ein gemeinsames Gesprächsthema hatten.
»Ich habe auch mit dem neuen Leiter der Stadtverwaltung telefoniert«, erklärte Rigg freundlich, aber sachlich. »Das war noch vor dem Überfall in der Geisterbahn. Vergewaltigung durch einen Fremden ist ein sehr heikles Thema. Brighton hat schon für die nächsten Jahre den Labour-Parteitag verloren, wenn auch nicht in Verbindung mit den Vergewaltigungen. Er ist der Ansicht, dass es der Zukunft unserer Stadt sehr zuträglich wäre, wenn man hochklassige Tagungen nach Brighton holen könnte, was natürlich nur möglich ist, wenn wir uns als sichere Stadt präsentieren. Die Angst vor Verbrechen scheint im Konferenzgeschäft ein wichtiger
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