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Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)

Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)

Titel: Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Todenhöfer
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Herrn. Khaled hat die Szene aus der Ferne beobachtet. »Auch das wird Ihnen keiner glauben«, meint er. »Was für wunderbare Menschen!«
    Durch weite Gemüse- und Obstplantagen fahren wir Richtung Gaza-Stadt. Wir überholen uralte Mercedes-Limousinen und noch ältere Eselskarren, oft von Kindern gelenkt. Dann sind wir in Gaza. Zwischen den unverputzten, heruntergekommenen Häusern hängen Bilder von Märtyrern. Viele Häuser zeigen Spuren des Krieges. Manche Fassaden sehen aus wie Schweizer Käse. Teilweise sind ganze Häuserkomplexe zerstampft und in sich zusammengefallen. Geld zum Wiederaufbau scheint niemand zu haben. Gaza lebt von seiner Substanz.
    Dennoch sind Teile der Innenstadt fast idyllisch schön. Bäume mit orangefarbenen Blüten flankieren die Straße. An einer Straßenkreuzung hält ein malerischer, übermütig lärmender Hochzeitszug. Auf der Ladefläche eines Viehtransporters sitzt die Musikkapelle. Sie trommelt, was das Zeug hält. Dahinter steht das geschmückte Auto des Brautpaares.
    Ich gehe zu der fröhlichen, etwa 35-jährigen Braut und wünsche ihr alles Gute. Sie lacht einladend und sagt in holprigem Englisch: »Wenn Sie wollen, können Sie mitkommen. Die Braut sitzt vorne.« »Schade«, denke ich. Ich wäre gerne mitgefahren. Doch wir müssen vor Sonnenuntergang wieder im Tunnel sein.
    Auf der Rückfahrt kommen wir an der Universität vorbei. Eines ihrer Gebäude ist total zerstört. Noch immer liegen Trümmer um den tiefen Bombenkrater herum. Nicht weit entfernt steht eine prunkvoll-pompöse Villa. Sie ist der einzige hochherrschaftliche Prachtbau in dieser ärmlichen Gegend. Sie gehört dem prowestlichen Palästinenserpräsidenten Abbas. Keinen Kratzer hat sie abbekommen.
    Ganz in der Nähe stand einst die Residenz des nicht ganz so prowestlichen Palästinenserpräsidenten Arafat. Nichts ist von ihr übrig geblieben. Israelische Waffen können wählerisch sein. Auf einer kleinen Anhöhe thront Arafats ehemaliger Großhubschrauber. Man hat ihm die Rotoren weggeschossen. Wie ein großer Vogel ohne Flügel steht er da. Nicht nur Arafats Hubschrauber hat man die Flügel gestutzt. Allen Menschen in Gaza.
    Kilometerlang fahren wir in der untergehenden Sonne am Strand entlang. Familien picknicken oder spielen Volleyball. Junge Männer baden. Eltern führen ihre Kinder auf Kamelen durch die Gischt. Fast könnte romantische Stimmung aufkommen. Wenn da nicht am Horizont israelische Kriegsschiffe kreuzten. Sie stellen sicher, dass die palästinensischen Fischerboote nicht zu weit hinausfahren. Und dass keine fremden Schiffe den Verdammten dieser Erde zu Hilfe kommen.
    Ein Ambulanzwagen rast uns mit Sirenengeheul entgegen, gefolgt von Polizeiautos. Insgesamt zählen wir sieben Wagen. Alltag im Ghetto Gaza. An manchen Tagen sind alle Kranken- und Polizeifahrzeuge unterwegs. Wenn die Kassam-Brigaden wieder mal ihre sinnlosen Billigraketen nach Israel abschießen und Israel zur Vergeltung seine teuren Überschalljets schickt. Gaza der David, Israel der Goliath.
    Seit Beginn der zweiten Intifada Ende September 2000 bis Ende Mai 2013 haben palästinensische Kämpfer 1104 Israelis getötet. Im gleichen Zeitraum töteten die Israelis 6827 Palästinenser. 64 Als gewalttätig gelten dennoch nur die Palästinenser.
    Wir sind wieder an den Tunnelanlagen von Rafah angekommen. Alte Zelte, Baustellenvorrichtungen tarnen sie. Wir bitten Khaleds Freund, uns diesmal einen »anständigen Gauner« zu besorgen. Vor allem Julia besteht darauf. Außerdem bitten wir um einen weniger schamlosen Wucherpreis. Eine lange Diskussion beginnt. Aber die Tunnel-Mafia ist gut organisiert. Wir bekommen keinen anderen Tunnel und auch keinen anderen Preis. Wer einmal in den Händen dieser Leute ist, entkommt ihnen nicht. Ich muss wieder 300 Dollar zahlen.
    Dann beginnen erneut wilde Telefonate. Die andere Seite muss schließlich informiert werden. Wahrscheinlich auch die Kumpels von der ägyptischen Grenzpolizei und vom Geheimdienst. Ein kleiner, etwa 50-jähriger Mann im Anzug kommt aus dem Tunnel gerannt. Er ist klatschnass und völlig außer Atem. In der Hand hält er eine Adidas-Sporttasche. Sie wird offenbar sehnsüchtig erwartet. Einer der Schleuser nimmt sie ihm sofort ab und packt sie hinter einer Plane aus.
    Als wir endlich los dürfen, ist es dunkel. Diesmal ist alles nicht ganz so unheimlich wie beim ersten Mal. Trotzdem ist jedem klar, wie gefährlich auch dieser Marsch ist. Die Nervosität unserer Begleiter erinnert uns

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