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Du stirbst nicht: Roman (German Edition)

Du stirbst nicht: Roman (German Edition)

Titel: Du stirbst nicht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Schmidt
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fallen aus. Im Oberlaufgebiet der Donau bei Passau und Regensburg sieht es nicht viel anders aus. Der Sprecher sagt, dass die Schäden die Folgen aller bisherigen Katastrophen seit dem Zweiten Weltkrieg übertreffen.
Sie schaut auf den Bildschirm. Löffelt einen Becher Joghurt dabei. Es erreicht sie nicht, eine dicke Schicht Gelatine hängt zwischen ihr und dem Gerät. Der Anblick des Wassers stößt etwas an, wovor sie Angst hat, was sie aber nicht benennen kann.
Helenes Herz übt den Überschlag.
Helenes Herz übt den Überschlag, bis es ihn beherrscht.
Mit beherrscht schlagenden Herzen rollt sie zurück ins Zimmer, die Bandner grinst dick, ihre Bettnachbarin schläft schon. Wie heißt sie eigentlich? Sie, mit der sie hier doch am meisten verbindet? Ist es wahr, dass sie ihren Namen gar nicht kennt? Beim Vorbeifahren liest sie das ins Klarsichtfach am Fußende ihres Bettes eingeschobene Zettelchen: Mittelner, Renja . Renja Mittelner also, sie staunt über sich, dass sie das nicht interessiert hatte bislang.
Aus dem Nachttisch holt sie den Laptop hervor. Das Herz hat ja gerade erst angefangen, den Überschlag zu beherrschen, und in kleinen Episoden galoppiert es noch davon, wenn sie nicht darauf achtet. Es hat mit dem Wasser zu tun. Sie geht ins Textprogramm, untersucht die Dateien dieses Jahres auf das Wort Wasser . Wird fündig: wassersuppe.doc, wasseripopasseri.doc, schwerwasser.doc. Beim Öffnen kommt die Erinnerung: schwerwasser.doc war einer der letzten Texte …
Du willst schwimmen gehen,
das Meer dröhnt, als lechze es nach dir, und trotzdem höre ich den Sand knirschen unter deinen schönen, großen Füßen, die jetzt über den Tang, die angeschwemmten Hölzer und Steine hinwegsteigen, du bleibst stehen, greifst den rechten Fuß mit der linken Hand, schaust die Sohle von unten an, hast du dich geschnitten?, setzt ihn wieder ab, gehst zögernd die letzten Schritte zum Wasser, beginnst plötzlich zu rennen und stürzt dich mit wildem Eifer in die Flut, verschwindest zwischen den Wellen, tauchst wieder auf, winkst mir zu, ich winke zurück, lege den Kopf auf die Knie, das Lächeln auf meinem Gesicht passt nicht, ich will es zurückziehen, aber es bleibt, als hättest du es festgenagelt, hast du es festgenagelt?, ich möchte nicht lächeln, du siehst es wahrscheinlich gar nicht von dort aus, kannst mich jedoch erkennen, wie ich hier sitze, den Hintern im Sand, die Knie ans Kinn hochgezogen, die Hände jetzt fest um die Beine gekrallt, sonst würden sie sich wieder ausstrecken wollen, und immer gefalle ich dir, mit ausladendem dunkelrotem Mund und blauen Augen, Blauäuglein hast du mich vor über zwanzig Jahren genannt, ich sah deine Brust mit dem spärlichen Haarwuchs dabei und verging für Minuten, während du abwartetest und mich umdrehtest, jetzt hast du dich selbst umgedreht und liegst ausgestreckt auf dem Rücken, das Salzwasser schaukelt dich, ich möchte dir lieber nicht gefallen, wie soll ich das anstellen?, mir fällt gar nichts ein, ich möchte mich hinlegen, einbuddeln lassen im Sand, damit du mich nicht mehr findest, wenn du wiederkommst, obwohl es besser wäre, wenn du mich gar nicht suchtest, einfach gar nicht mehr daran dächtest, dass es mich gegeben hat, für dich, wenn ich getilgt wäre aus deinen kleinen und großen Gedanken, die noch immer stürmisch über mir hereinbrechen, morgens und mittags und abends, da ich an meinen eigenen Angelegenheiten kaue und die deinen so fremd für mich sind, denn unter dem Hemd trage ich noch dieselben Brüste wie damals und finde es daher seltsam, dass deine Berührungen nicht mehr das auslösen, was einmal das Unabdingbare war, meine Leidenschaft, meine besessene Gier, stattdessen fordern deine Berührungen heute, was ich nicht hergeben will, was im plombierten Mund, hinter den verriegelten Augen festsitzt, im Verlies hocken Lust und Verlangen, kleine, vertrocknete Gnome, denen das Blut abhandenkam auf dem Weg durch die Jahre, du hast dich jetzt wieder gedreht, dein Honighaar hat sich in dunklen Zotteln über die Augen gelegt, du streichst es beiseite, schaust in den Himmel, ein Geschwader von Jagdflugzeugen hinterlässt weiße Streifen, auch du hast auf meinem Rücken manchmal mit den Nägeln weiße Streifen hinterlassen, die sich rasch röteten, du hast das Blut erst beiseitegedrückt mit den Fingern, ehe es umso stärker einschoss, und manchmal trug ich blutige Schnecken davon, da!, du verschwindest wieder zwischen den Wellen, ich möchte die Augen

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