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Du stirbst nicht: Roman (German Edition)

Du stirbst nicht: Roman (German Edition)

Titel: Du stirbst nicht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Schmidt
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abgenommen zu werden, sondern muss höllisch suchen, bis sie irgendwo ein passendes entdeckt …
Auch die Gedächtnisaufgabe kennt sie: Das Kurzzeitgedächtnis scheint zunächst noch ebenso in Mitleidenschaft gezogen wie vor Wochen, denn sie kann eine nur aus fünf Sätzen bestehende Geschichte nicht einmal im Ansatz nacherzählen. Beim nächsten Versuch klappt das aber sehr gut, und auch als die Geschichten länger werden, kommt sie nach. Gemeinsam mit der Psychologin beschließt sie, das Anfangsversagen auf den Mangel an Umstellfähigkeit zurückzuführen, der aber, wie die Psychologin sagt, nur relativ sei, andere Patienten hätten ungleich höhere Hürden zu überwinden als sie.
Na, das wird sie jedem sagen.
Als die Dreiviertelstunde vorbei ist, wird Helene von der Schläfrigkeit eingeholt, der sie zuvor noch einmal entwischt war, und will ins Zimmer fahren, sich hinzulegen. Aber schon im Fahrstuhl nickt sie ein, fährt durch bis ganz oben und wird dann von einer mitfahrenden Frau, der das nicht ganz geheuer war, sodass sie nach drei Schritten vom Fahrstuhl weg noch einmal zurückkommt und vorsichtig hineinschaut, geweckt. Kann man helfen? Man kann, aber man braucht nicht. Sie lachen beide, die Frau kennt maßlose Müdigkeit offenbar.
Im Zimmer liegt der Laptop auf ihrem Bett. Sie kann sich nicht erinnern, ihn dort liegen gelassen zu haben, aber ihr Gedächtnis ist, wie sie eben gelernt hat, ja störbar. Sie legt sich daneben, umarmt ihn, denn sie fühlt nicht mehr die Kraft, ihn vom Bett auf den Nachttisch zu stemmen.

(Es klopft.)
Nicht, dass sie hochschreckte, aber benommen ist sie schon, als sie überrascht feststellt, dass es schon 16 Uhr ist. Sie hat die Progressive Muskelentspannung versäumt (macht nichts, findet sie) und nicht daran gedacht, dass …
(Es klopft zum zweiten Mal.)
… Carla heute kommt!
Natürlich!
Jede der Schwestern hätte die Tür aufgerissen, und auch Matthes und die Kinder stünden längst im Zimmer. Das kann nur Carla sein.
Komm rein!, ruft sie laut, ihre Stimme überschlägt sich, und sie ist verärgert über ihre Langsamkeit, aus dem Bett zu kommen, komm rein!
Carla steckt den Kopf zur Tür herein, ein bisschen ängstlich, wie Helene findet.
Noch sitzt sie nicht im Rollstuhl, beeilt sich aber, hineinzukommen. Sie hat vergessen, die Räder festzustellen, sodass er davonrollt und sie der Länge nach hinstürzt.
Na so was.
Sehr erschrocken springt Carla zu ihr, aber sie lacht nur. Sicher hörte sich das schlimmer an, als es war, als ihre fünfundachtzig Kilo zu Boden gingen. Carla hilft ihr. Nicht gerade auf die Sprünge, aber doch so weit, dass sie endlich im Rollstuhl sitzt. Erst mal umarmen. Erst mal die Köpfe aneinanderlegen, Helenes graue Seite an Carlas kastanienbraunes Kurzhaar. Das tut gut. Das ist wie Einschwören auf die Gemeinsamkeit.
Als sie sich anschauen, muss Carla heulen.
Na so was.
Helene ist ein bisschen ratlos, die richtigen Worte wollen ihr nicht einfallen, die man an dieser Stelle sagen sollte. Sie nimmt einfach Carlas Hand. Carla lässt noch einen gewaltigen Schniefer los, dann hat sie sich eingekriegt.
Da bist du ja , sagt Helene.
Da bin ich, ja!, sagt Carla.
In diesem Moment wird nun wirklich die Tür aufgerissen, und eine der Schwesternschülerinnen kommt herein, hinter sich ein rollbares Klappbett herziehend.
Konversation, plätschernd.
Zum Schluss: Klamauk. Die Schülerin hat das Bettzeug verkehrt herum aufgezogen, will das auf der Stelle korrigieren, aber Carla sagt, dass sie das selbst könne. Die Kleine ist noch unsicher, gibt aber unter Carlas beherztem Zugriff schnell auf und geht.
Sie setzen sich in die Fensternische. Als Carla jedoch sagt, einen Kaffee nötig zu haben nach der langen Fahrt, machen sie sich auf zur Cafeteria. Sie finden einen Tisch, an dem sie so schnell nicht gestört werden dürften, denn es ist ein kleines Zweierchen am Fenster, noch dazu in der Ecke. Helene fällt augenblicklich Violas Ecktischzugriff beim Altlandsberger Italiener ein, und sofort weiß sie auch, dass ihrer beider Unsicherheit unterschiedlichen Ursprungs ist: Carla weiß nicht, in welcher Verfassung, welchem Zustand Helene wirklich ist. Vielleicht hat sie sogar Angst, eine Freundin verloren zu haben, an einen irreversiblen Defekt? Wer weiß … Und sie selbst ist bedrückt, weil sie Carla nicht von Viola, von Maljutka Malysch, erzählt hat und nicht weiß, ob sie des Zitterns, das sie schon immer befiel, wenn sie von tief innen verborgenen Dingen berichtete, in

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