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Du stirbst zuerst

Du stirbst zuerst

Titel: Du stirbst zuerst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Wells
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plane?
    »Hatten Sie einen Job, bevor Sie hierhergekommen sind, Michael?«
    »Äh, ja.« Ich überwinde mich, zeige mich ruhig und nehme mich zusammen. Ich nicke. »Ich habe in einer Bäckerei gearbeitet. Muellers Bäckerei, das ist der Laden mit dem Kohleofen.«
    »Solches Brot habe ich noch nie gegessen, aber es klingt köstlich«, sagt Linda. »Was haben Sie dort getan?«
    Die Pforte klickt, Devon ist schon durch, und ich habe die Kombination verpasst. Ich klappere mit den Zähnen. »Ich habe beim Beladen und Entladen geholfen und so weiter. Mehlsäcke, lange Bretter mit Broten, solche Arbeiten. Mister Mueller hat alles von Hand gemacht, er hat sogar den Teig mit den Händen gemischt und geknetet wie früher. Dort gab es überhaupt keine Maschinen.«
    »Das klingt, als hätten Sie viel zu tun gehabt«, meint die Ärztin. »Welche Arbeit mochten Sie besonders gern?«
    »Nicht antworten«, sagt jemand. »Ohne richterliche Anordnung musst du überhaupt nichts sagen.« Ich sehe mich um, aber anscheinend hat keiner der anderen Patienten gesprochen. Ich beuge den Arm auf und ab.
    Warum tue ich das?
    »Ich hätte gern in einer Bäckerei gearbeitet«, schaltet sich Steve ein. »Den Buchladen habe ich gehasst.«
    »Steve, nehmen Sie bitte Rücksicht«, sagt Linda. »Michael ist an der Reihe.«
    Ich blicke zur Pforte, wo inzwischen niemand mehr ist. Aus den hinteren Räumen kommt ein anderer Pfleger nach vorn. Will er zu uns oder zum Ausgang?
    Schließlich wende ich mich wieder an Linda. »Am liebsten mochte ich die Hitze.« Ich zögere es hinaus. Alles Mögliche über die Bäckerei erzählen, damit sie in der Zwischenzeit keine Fragen mehr stellt und mich nicht wieder von der Tastatur ablenkt. »Ich weiß, es klingt seltsam, aber ich mochte die Hitze.« Ich nicke. »Es war so heiß und trocken wie in einer Höhle in der Wüste, und man konnte einfach dort sitzen und die Hitze genießen, die Wärme und den Hefegeruch, und so tun, als wäre man eine Eidechse unter einem Stein. Oder ein Dinosaurier.« Der Pfleger geht an uns vorbei zur Pforte. Ich drehe den Kopf gerade weit genug herum, damit ich die Tastatur beobachten kann, während ich den Eindruck erwecke, nachdenklich ins Leere zu starren. »Ich habe gern hinten gestanden, vor der dunkel­roten Glut der Backöfen, und zugehört, wie in der Hitze die Wände geknackt haben.« Sechs-acht. »Da konnte ich mir vorstellen, mich in einem Ballon zu befinden, der mit heißer Luft gefüllt ist und mit dem ich einfach wegfliegen konnte.« Fünf. Er bewegt den Arm, und ich verpasse die letzte Ziffer. Eine Eins? Vielleicht die Zwei? Eine davon muss es sein. Sechs-acht-fünf-eins oder Sechs-acht-fünf-zwei. Ob das Schloss einen Alarm auslöst, wenn ich den falschen Code eingebe?
    »Wow«, macht Linda. »Das ist aber schön. Es freut mich, dass Ihnen Ihr Job Freude bereitet hat.«
    »Gebäude können nicht wegfliegen«, wendet Steve ein.
    »Bitte, Steve, jetzt spricht Michael.«
    »Ich bin fertig«, sage ich nickend und spanne wieder den Arm an.
    »Danke, dass Sie uns das erzählt haben«, erwidert Linda. »Edward, wie wäre es mit Ihnen?« Der Mann mit dem zotteligen Haar blickt erschrocken auf. Linda lockt ihn sanft aus der Reserve. »Hatten Sie auch einen Job, Edward?«
    Ich behalte die Pforte im Auge und warte ab. Niemand kommt. Nach ein paar Minuten taucht jemand hinter dem Gitter auf – der Mann mit dem grauen Anzug und dem verschwommenen Fleck anstelle eines Gesichts.
    Er hat keine Augen, trotzdem spüre ich den durchdringenden Blick. Ich erwidere den Blick, wir beob­achten uns gegenseitig und warten ab. Langsam und beherrscht atme ich durch. Wir sagen nichts. Er ist der gleiche Mann, der schon einmal auftauchte. Irgendwie weiß ich es, ich erkenne ihn, als wäre ich ihm schon hundertmal begegnet.
    Er geht weg.
    Ich muss noch heute Nacht fliehen, ich kann nicht länger warten. Sie wissen, dass ich hier bin und dass ich sie bemerkt habe. Wenn sie etwas unternehmen wollen, dann werden sie es bald tun.
    Ich muss ihnen zuvorkommen.
    Ich liege wach und lausche den Schritten. Es ist äußerst wichtig, den richtigen Zeitpunkt zu bestimmen. Zuerst geht Shauna vorbei, die weichen Schuhe tappen leicht über den harten, glatten Boden. Die Schritte werden lauter, als sie sich nähert, dann verklingen sie unten im Flur. Ich warte und höre entfernt einen Patienten falsch singen. Im Hintergrund rumpelt ein Zug, das Geräusch wird lauter und ebbt ab. Stille.
    Dann nehme ich wieder die

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