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Du stirbst zuerst

Du stirbst zuerst

Titel: Du stirbst zuerst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Wells
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ein Datum: vor zwei Monaten, vor drei Monaten, vor einem Monat. Zehn Opfer, genau wie Kelly gesagt hat. Es hat vor acht Monaten begonnen und endet – vorläufig – in der Mitte der zwei Wochen, die mir fehlen. Ich betrachte das letzte Foto: ein Mann in einem braunen Overall, ein Raumpfleger. Brandon Woods steht auf dem Aufkleber. ChemCom Industrial Chemicals. Das hat der FBI -Mann erwähnt. Das Gesicht des Opfers ist böse verstümmelt, mit einem Messer zerschnitten, mit dem Hammer zerschlagen oder … ich will nicht weiter darüber nachdenken, wie so etwas zu bewerkstelligen ist. 27. Juni lautet das Datum. Tatsächlich, das ist mitten in der Zeit, an die ich mich nicht erinnern kann.
    Draußen höre ich Stimmen, aber niemand kommt herein. Die Tür steht einen Spaltbreit offen. Ich wage nicht, sie ganz zu schließen, ducke mich und gehe hinter einem Aktenschrank in Deckung, in dem sich auch meine Akte befindet. Ich warte, bis die Stimmen leiser werden, und drücke vorsichtig auf den Knopf der dritten Schublade: N bis S. Dann gehe ich die Akten durch, bis ich meine gefunden habe, und lese die Notizen:
    Das Loxitan wirkt bei mir nicht, die Dosis muss erhöht werden.
    Ich sperre mich gegen die Behandlung, nehme aber seit Kurzem an Therapiesitzungen für mein Sozialverhalten teil.
    Ich habe gewalttätige Neigungen und muss genau überwacht werden.
    Hinten finde ich ein halb ausgefülltes Formular mit Doktor Littles Diagnose: Michael Shipman wurde Anfang letzten Jahres wegen einer generalisierten Angststörung be­handelt, als stabil beurteilt und Anfang Juli mit einem Rezept für Clonazepam entlassen. Therapie und Beobachtung ergaben keine Anzeichen für aktive Wahnvorstellungen. Die Schizophrenie kann auch früher entstanden sein, ist jedoch unserer Einschätzung nach wohl erst im November akut geworden, wie die Gespräche mit dem Vater und dem Arbeitgeber ergaben …
    Ich halte inne. November, das war vor acht Monaten. Ungefähr zu der Zeit, als ich nicht mehr zur Therapie gegangen bin. Ungefähr zu der Zeit, als ich das Clonazepam nicht mehr genommen habe.
    Ungefähr zu der Zeit, als der Wellnesskiller die ersten Morde beging.
    »Keine Bewegung!« Auf einmal steht der Wachmann in der Tür und hält mir den Taser vor die Nase. Ich weiche zurück und hebe die Hände, doch sobald der rechte Arm befreit ist, zuckt er wieder hin und her, und der Wachmann drückt ab.



Alle Muskeln im Körper lassen mich im Stich. Einige verkrampfen sich und werden hart wie Ziegelsteine, andere zerfließen zu nutzlosem Brei. Ich pralle gegen etwas Hartes und stürze inmitten von Papieren und Büchern zu Boden.
    »Es ist ein Patient! Ich glaube, der aus Vier-null-vier! Ach, du Scheiße!«
    Der Arm zuckt wieder und fliegt im Halbkreis vor mir hin und her. Ich will mich orientieren, doch die Augen haben sich noch nicht auf das Licht eingestellt, und ich bin viel zu benommen, um mich zurechtzufinden. Offensichtlich kann ich nicht einmal einen Finger gezielt bewegen.
    »Er zuckt immer noch!«
    »Haben Sie ihn geschockt?« Die zweite Stimme ist leiser, weiblich und voller Sorge. Shauna. Ich wende den Kopf zur Seite. »Was ist überhaupt passiert?«
    »Er wollte mich schlagen. Ich konnte nicht einmal sehen, wer es war.«
    »Wie ist er bloß herausgekommen?«
    Ich will antworten, gurgele hilflos und schaffe es tatsächlich, den Kopf zu heben. Sofort packt mich jemand von hinten und hält mich mit einem Judogriff fest. Ich kann mich nicht mehr rühren.
    »Rufen Sie Doktor Little und sagen Sie ihm, dass ein Patient in sein Büro eingebrochen ist.« Schritte entfernen sich, ein Handy klappert in der Hülle.
    Die Zunge gehorcht mir wieder, der Kopf wird klar. »Ich muss …«
    »Ruhig, Mann«, sagt der Wächter. »Was machen die Beine? Können Sie gehen?«
    »Ich muss hier raus.« Klick-klick-klick. Schon wieder die Zähne.
    »Beantworten Sie meine Frage. Können Sie gehen? Können wir aufstehen?«
    »Hallo, Doktor Little«, sagt Shauna. »Tut mir leid, dass ich zu dieser Zeit anrufen muss, aber wir haben ein Problem.« Der Wachmann zieht mich auf die Knie und hält inne, während ich um mein Gleichgewicht kämpfe, dann hilft er mir ganz hoch. »Aus der Geschlossenen ist ein Patient geflohen«, berichtet Shauna. »Nein, er ist nicht weit gekommen, nur bis zu Ihrem Büro. Es ist Michael Shipman.«
    Als ich stehe, blicke ich zu Shauna hinüber, aber sie ist es gar nicht. Es ist die andere Schwester, die Dicke aus dem Büro. Sie ist älter, vielleicht

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