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Du stirbst zuerst

Du stirbst zuerst

Titel: Du stirbst zuerst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Wells
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Gedanken auf mich ein, jagen mir durch den Kopf wie Blut durch einen an­ge­schwollenen Muskel. Ich will die Hände zum Kopf heben, doch die Arme sind gefesselt. In diesem Zimmer war doch etwas, vor dem ich Angst hatte …
    Erschrocken bäume ich mich auf und zucke zurück, als ich mich an die riesige Made erinnere. Voller Panik betrachte ich mich, klopfe mir Beine und den Bauch, so weit ich sie erreichen kann, auf Bisswunden, Schleim oder sonstige Spuren ab. Dann blicke ich wild umher, doch da ist nichts. Hockt das Monster hinter mir? Unter dem Bett? Ich dehne die Gurte, so weit es nur möglich ist, und verrenke mir den Hals, um unter das Bett zu spähen. Auch dort entdecke ich nichts. Es ist fort. Ich habe keine Ahnung, was es mir angetan hat.
    War es real? Ich will, dass es nur Einbildung war, und denke an die Diagnose des Arztes – mein Gehirn sei durcheinander und sehe Dinge, die nicht existieren. Nein, dieses Untier, das ins Zimmer gekrochen kam, darf nicht real sein. Ich wünsche mir, dass sich alles nur im Kopf abgespielt hat.
    Unwillkürlich schaudere ich, als hätte ich etwas Wider­liches berührt. Bei der Vorstellung, dass die Made im Kopf sitzen könnte, würgt es mich. Dann erinnere ich mich an die Opfer des Wellnesskillers. Die verstümmelten, blutigen Gesichter. Wenn die Maden nun in den Köpfen der Opfer Eier gelegt haben? Die Eier sind in den Nebenhöhlen gereift, neue Maden sind geschlüpft und haben sich nach draußen durchgefressen. Auch dieser Gedanke weckt Brechreiz in mir, und ich übergebe mich. Da ich gefesselt bin, kann ich mich nicht weit genug zur Seite beugen. Das Erbrochene läuft mir über die Brust.
    Es kann nicht wahr sein. Es darf einfach nicht wahr sein. Auf einmal spüre ich ein Kribbeln im Kopf, als kröche dort etwas umher. Wieder übergebe ich mich. Schließlich überwinde ich mich und denke an etwas ande­res. An die Wand und die Decke, die Pfleger und die anderen Patienten, an Doktor Little und Doktor Vanek und an alles, was mir nur einfallen will. Sie halten mich für verrückt. Was ist, wenn sie recht haben? Doktor Vanek sagt, die Halluzinationen würden wahrscheinlich auf irgendeinem realen Erlebnis beruhen, das Gehirn konstruiere künstliche Anblicke und Geräusche aus Erinnerungen und Gefühlen und reichere sie mit Phantasie und Einbildung an. Wenn das zutrifft, dürften viele meiner angeblich realen Wahrnehmungen ähnlich einzuordnen sein wie die Bilder eines Traums.
    Die Made muss keine Realität sein.
    Aber wie kann ich herausfinden, was Realität ist und was nicht? Schon der Gedanke daran tut weh. Es pocht im Kopf. Da wäre die Nachtschwester Shauna, die ich zuerst für Lucy gehalten habe. Niemand sonst scheint sie zu kennen. Da Lucy mich nicht besucht, habe ich mir vielleicht eine falsche Freundin erschaffen.
    Dann die Gesichtslosen und die vielen entstellten Leichen. Zuerst dachte ich, die Opfer seien eine Folge meines Kampfs gegen die Anderen, aber wenn es nun genau andersherum ist? Wenn ich irgendwo ein Opfer des Wellnesskillers gesehen habe? Das Erlebnis hat mich traumatisiert, und nun erschafft mein Gehirn die Gesichtslosen, um das Erlebnis zu bewältigen. So muss es sein. Ich habe es in den Nachrichten gesehen, als das erste Opfer gefunden wurde …
    Nur dass ich keine Nachrichten sehe. Ich sehe überhaupt nicht fern, und die Leute, die es tun – mein Dad und mein Boss –, reden nicht mit mir. Der einzige Mensch, mit dem ich wirklich rede, ist Lucy. Außerdem natürlich mit Doktor Vanek. Die sprechen aber nie über Serienkiller. Gut möglich, dass ich irgendwann früher einmal gesichtslose Leichen gesehen und die Erinnerung daran verdrängt habe. Das Unterbewusstsein zerrt sie nun ans Licht und erschafft Wahnvorstellungen. Mir fehlt die Erinnerung an die letzten zwei Wochen, bevor ich ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Davor erinnere ich mich an alles. Kann man sich überhaupt zu hundert Prozent erinnern? Kann ich über jede Stunde eines jeden Tages Rechenschaft ablegen?
    Aber wieso und warum bin ich mit den Opfern des Wellnesskillers in Berührung gekommen, wenn ich nicht selbst der Killer war?
    Wieder nickt mein Kopf von selbst, ich denke entsetzt über die Rebellion meines Körpers nach. Irgend­jemand hat mich kontrolliert. Ganz egal, welche Erklärungen Doktor Little vorschiebt, ich habe es gespürt. Mein Körper hat mir nicht mehr gehört. Wenn mich nun jemand vollständig kontrollieren kann und mich ohne mein Wissen benutzt, um andere Menschen

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