Du stirbst zuerst
gestattet mir nichts, was es für unmöglich hält«, wendet Lucy achselzuckend ein. »Im Grunde dürfte ich nicht einmal mit ihm zusammen hier sein, denn dies beweist dir nur, dass er mich nicht sehen kann.«
»Können Sie das Mädchen sehen?«, wende ich mich an den Wachmann.
Er wendet sich nicht einmal um. »Hier ist niemand außer Ihnen und mir, Michael.«
»Sie steht gleich dort drüben. Sehen Sie sie nicht?« Er rührt sich nicht. »Können Sie sich nicht umdrehen und sie ansehen?«
»Er glaubt, du willst ihn reinlegen.« Lucy tritt hinter ihn. »Du bist nicht der einzige Schizophrene in der geschlossenen Abteilung. Er hat diesen Trick schon hundertmal erlebt.«
»Schlag ihn!«, verlange ich von ihr.
»Immer mit der Ruhe.« Der Wachmann hebt beschwichtigend die Hände.
»Komm schon«, sage ich. »Du stehst direkt hinter ihm. Schlag ihn! Dann können wir weglaufen, und der Raumpfleger lässt uns wie versprochen hinaus. Dann sind wir für immer zusammen.«
»Ich bin nicht real, Michael.«
»Doch, das bist du! Schlag ihn nieder!«
»Ruhig, Michael.« Der Wachmann legt mir eine Hand auf die Schulter. Ich wehre ihn heftig ab, und er explodiert förmlich und nimmt mich so schnell in den Schwitzkasten, dass ich die Bewegungen kaum verfolgen kann. »Ruhig, Michael«, sagt er noch einmal. »Immer mit der Ruhe. Alles wird gut.«
»Hilf mir!«
Sie winkt, eine Träne rollt ihr über die Wange, und dann ist sie weg. Ich wehre mich gegen den Wächter, doch er hält mich unerbittlich fest und ruft die Nachtschwester. Als ich ihn treten will, liegen wir auf einmal am Boden, und er hält mich unten.
»Lucy!«
Ich bekomme keine Antwort.
Am nächsten Morgen erhöhen sie die Seroqueldosierung, ein paar Tage später noch einmal. Doktor Little hält meine Konfrontation mit Lucy für ein gutes Zeichen. Ich sähe sie zwar immer noch, mache mir aber bewusst, dass sie nicht real sei, und das bedeute einen großen Schritt nach vorn. Es bedeutet, dass die Medikamente wirken. Stück für Stück klärt sich die Glasscheibe.
Doktor Vanek besucht mich am Wochenende. Er scheucht einen Schwarm Patienten aus einer Ecke des Gemeinschaftsraums, damit wir ungestört sind. Ich beachte ihn nicht.
»Michael.« Er lässt sich auf einem Stuhl nieder. »Sie werden mit jedem Tag interessanter.«
»Ich rede nicht mit Ihnen.« Mein Kopf nickt von selbst. Hat er es gesehen?
»Warum nicht?«, fragt er. »Weil Ihre Freundin nicht real ist? Sie sind nicht der einzige Mann auf der Welt, der eine eingebildete Freundin hat, das kann ich Ihnen versichern. Denken Sie doch nur an die Kosmetikindustrie. Es ist ein Wunder, dass irgendjemand sich noch mit realen Frauen abgibt.«
»Ich sagte, ich rede nicht mit Ihnen.«
»Inzwischen erkennen Sie sogar schon, dass Sie krank sind«, fährt er ungerührt fort und beugt sich vor. »Sie haben zugegeben, dass Sie an Halluzinationen leiden. Damit betreten Sie ein Zwischenreich, und nun können wir wirklich Fortschritte erzielen. Sie sind verrückt genug, um Probleme zu haben, aber gesund genug, um offen darüber zu sprechen. Ich analysiere einen Patienten nicht gern allein anhand der Erinnerung.«
Verärgert wende ich mich zu ihm um. »Es geht nicht darum, verrückt zu sein, sondern es geht um Einsamkeit. Was nutzt es, wenn es mir besser geht und niemand ist mehr da, mit dem ich mich besser fühlen kann? Ich wollte hier raus. Ich wollte mich besser fühlen, hinauskommen und in einem großen Haus auf dem Land leben. Zusammen mit …« Ich wende mich ab.
»Sind Sie wirklich zufrieden, wenn Sie nur mit eingebildeten Freunden spielen?«
»Halten Sie den Mund!« Der Arm zuckt, ich unterdrücke den Impuls.
»Werden Sie nicht wütend auf mich«, sagt er. »Sie sind derjenige, der sich kindisch verhält. Außerdem wollen Sie doch, dass es Ihnen besser geht. Sonst würden Sie nicht mit Doktor Jones reden.«
»Doktor Jones?«
»Linda«, sagt er, als sei ihm schon der bloße Name zuwider. »Sie ist die Königin der modernen Psychiatrie und tritt für dieses sanfte Hippiezeugs ein. Allerdings hat sie bei Ihnen offenbar gewisse Erfolge erzielt. Regelmäßige Sitzungen, einzeln und in der Gruppe, in denen Sie anscheinend recht tief in Ihre hoffnungslose freudianische Einöde eingedrungen sind.«
»Sie hilft mir.«
»Wobei hilft sie Ihnen? Ihre Freundin umzubringen?«
»Halten Sie den Mund!«
»Wollen Sie Ihre Freundin loswerden oder nicht? Habe ich in unserer Unterhaltung bis zu diesem Punkt etwas
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