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Du stirbst zuerst

Du stirbst zuerst

Titel: Du stirbst zuerst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Wells
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»Wenn ich der Killer bin?«
    »Sie sind kein Killer.«
    »Das können Sie nicht wissen.« Auf einmal mache ich mir Sorgen, jemand könne lauschen, und sehe mich um. Tatsächlich beobachten uns einige Patienten, aber sie sitzen alle auf der anderen Seite des Raums, und in unmittelbarer Umgebung hält sich niemand auf. Ich beuge mich vor. »Wie Sie schon sagten, passe ich in das Profil, und es gibt zwei Wochen, an die ich mich nicht erinnere. Vielleicht hat es sogar noch länger gedauert. Wenn ich zur Schizophrenie fähig bin, wer weiß dann schon, wozu ich sonst noch imstande bin?«
    »Schizophrenie ist nichts, wozu man fähig ist«, berichtigt er mich. »Es ist eine Krankheit. Sie tun das nicht absichtlich, es passiert einfach. Und jetzt versuchen Sie, sich an die zwei verlorenen Wochen zu erinnern …«
    »Ich bin zwanzig Jahre alt«, falle ich ihm ins Wort. »Es geht ja nicht nur um zwei Wochen. Kann ich über die ganze Zeit Rechenschaft ablegen? Können Sie sich an jeden Moment Ihrer letzten zwanzig Lebensjahre erinnern?«
    »Ich denke, wenn Sie jemanden getötet und ihm das Gesicht verstümmelt hätten, würden Sie sich daran erinnern.«
    »Das kann sein. Ich könnte es aber auch verdrängen. Selektives Gedächtnis …« Ich suche nach den richtigen Begriffen. »Unterdrückte Erinnerungen …«
    »Dissoziative Amnesie«, springt mir Vanek bei. »Sie meinen, der Akt des Tötens sei so traumatisch gewesen, dass Ihr Bewusstsein die Erinnerungen unterdrückt hat, um Sie zu schützen.«
    »Das ist doch möglich.«
    »Es ist idiotisch. Unterdrückte Erinnerungen haben eine neurologische Funktion. Dieser Mechanismus soll Sie davor schützen, was Ihnen zugestoßen ist. Was Sie aus eigenem Antrieb tun, ist Ihnen der Natur der Sache nach nicht so fremd, dass es Ihre Psyche derart erschüttern könnte.«
    Fremd genug, um mich zu schockieren … das erinnert mich an Lucy und die letzten Worte, die sie sagte: Mein Gehirn gestattet mir nichts, was es für unmöglich hält … wie etwa durch einen Wachmann hindurchzuspazieren. Wenn das Bewusstsein eine Illusion erschafft, dann schockiert es sich nicht selbst mit Handlungen, an denen es zerbrechen könnte. Allerdings klafft eine Lücke im System. Es gibt eine Grauzone. Wenn eine Illusion weit genug fortschreitet, bleibt der Realität irgendwann nichts anderes mehr übrig, als sich einzumischen. Lucy ist durch Bestechung hereingekommen, doch unsere Unfähigkeit, die Klinik zu verlassen, brachte die Phantasie zum Einsturz.
    »Was ist, wenn ich das Töten für etwas Gutes halte, vielleicht sogar für moralisch vertretbar, und den Fehler erst hinterher erkenne, nachdem es schon geschehen ist?«
    Vanek zieht die Augenbrauen hoch. »Sie wollen sich wohl um jeden Preis verdächtig machen, wie?«
    »Ich will kein Killer sein, aber denken Sie doch mal darüber nach. Wenn mein Gehirn nun die Gesichts­losen für real hielt und dachte, es liege in meiner Verantwortung, die Welt von ihnen zu befreien, indem ich sie auslösche. Ich bin losgezogen und habe es getan, und erst als ich sie demaskieren wollte, fiel mir auf, dass es ein Fehler war. Die Illusion ist geplatzt, und das Trauma hat mich gezwungen, die Erinnerungen zu unter­drücken.«
    »Und das soll zwölfmal hintereinander passiert sein?«
    »Ist doch möglich, oder?«
    »Es ist wissenschaftlich möglich, dass ich jederzeit in Flammen aufgehe, aber sehr wahrscheinlich ist es nicht. Ebenso unwahrscheinlich ist es, dass Ihr gestörtes Gehirn Sie ein Dutzend Mal hintereinander in einen Serienkiller verwandelt, der jedes Mal glaubt, es sei die erste Tat. Als ich Sie mit der Bemerkung über den Killer erschreckte, wollte ich Ihren Selbsterhaltungstrieb wecken. Sie sollen ein Alibi produzieren. Sie müssen sich erinnern, wo Sie in diesen zwei Wochen waren. Stattdessen bemühen Sie sich nach Kräften, Ihre Schuld zu beweisen.«
    »Ich halte mich nur an die Tatsachen.«
    »Dann denken Sie auch in vernünftigen Bahnen! Ihre Besessenheit von dem Wellnesskiller ist nur ein weiteres Beispiel für Ihren wahnhaften Narzissmus. Wenn es irgendwo in der Welt ein Geheimnis gibt, dann haben Sie garantiert damit zu tun.«
    Klick-klick-klick.
    Vanek runzelt die Stirn. »Höre ich richtig?«
    Verdammt. »Was denn?«
    »Sie klappern wieder mit den Zähnen.«
    »Absichtlich.« Mit großer Mühe unterdrücke ich die Bewegung.
    »Tun Sie es noch einmal.«
    »Was?«
    »Wenn Sie absichtlich mit den Zähnen geklappert haben, können Sie es noch einmal tun. Ich

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