Du stirbst zuerst
Ihres Vaters zu hoffen.«
»Dann …« Hilflos hebe ich die Hände. »Dann vergessen Sie es einfach, ich mache den Kernspin, und alles wird gut.« Während ich spreche und an den Apparat denke, beschleunigt sich mein Puls – eine riesige Röhre mit Magneten und Motoren, die unsichtbare Gefahr des starken Magnetfelds, das den Körper durchdringt. Ich schließe die Augen und kämpfe die Panik nieder. »Das ist alles in meinem Kopf, mir wird nichts geschehen.«
»Die Tatsache, dass alles in Ihrem Kopf ist, ist ja gerade das Problem«, grunzt Vanek verärgert. Er sieht mich streng an. »Wir haben immer noch nicht herausgefunden, was in den zwei verlorenen Wochen passiert ist.«
»Das werden wir nie herausfinden«, wehre ich ab. »Es ist weg.«
»Erinnerungen verschwinden nicht so einfach, Michael. Nur unser Zugang zu ihnen geht manchmal verloren. Was Sie in diesen zwei Wochen gesehen und gehört haben, steckt immer noch in Ihrem Kopf. Sie müssen nur einen Weg finden, das Verschüttete ans Licht zu bringen.«
Ich nicke. »Lucy hat das auch gesagt.«
»Lucy ist ein Traum«, faucht Vanek. »Konzentrieren Sie sich auf die Realität. Können Sie sich an irgendetwas erinnern?«
»Ich erinnere mich an eine menschenleere Stadt«, sage ich. »Und an … an einen Schacht. Ein tiefes schwarzes Loch. Das ist die Wurzel von allem, das muss es sein.«
»Vergessen Sie das Loch«, knurrt Vanek. »Konzentrieren Sie sich auf die leere Stadt. Erinnern Sie sich an alle Einzelheiten, die Ihnen einfallen.«
»Warum ist das so wichtig?«
»Ihr Bewusstsein ist wichtig«, erklärt er. »Wenigstens mir ist es wichtig, wenn schon nicht Ihnen selbst. Sie müssen beweisen, dass Sie kein Killer sind. Das ist wichtiger denn je, weil … weil wir nicht sicher sind. Sie sind von Geheimnissen umwittert, Michael. Die Erinnerung an die beiden fraglichen Wochen kann einige oder vielleicht sogar alle Rätsel lösen. Wenn Sie unbedingt noch mehr aus Ihrem Bewusstsein löschen wollen, sollten Sie wenigstens versuchen, vorher zurückzuholen, was Sie verloren haben. Schreiben Sie alles auf, was Ihnen einfällt, damit es nicht … damit es nicht endgültig verschwindet.«
»Ich …« Er hat recht. Erst wenn ich mich erinnere, wo ich war, was ich gesehen und was ich getan habe, kann ich herausfinden, wie viel von alledem real ist. »Einverstanden. Ich will mich erinnern. Ich gebe mir Mühe.« Jetzt erwidere ich seinen Blick. »Was haben Sie vor?«
»Ich verhindere diesen Unfug.« Er marschiert schon zur Tür. »Ich rede mit Ihrem Vater.«
Unablässig wiederhole ich den Satz und bemühe mich den ganzen Abend über, ruhig zu bleiben: Es ist alles nur im Kopf. Nichts kann mich verletzen. Die Wahnvorstellungen sind verflogen, die Halluzinationen haben aufgehört, und ich werde wieder so, wie ich nach der Behandlung mit dem Seroquel schon einmal war. Vermutlich geht es mir sogar besser, weil ich keine Nebenwirkungen wie Müdigkeit und Muskelschmerzen habe. Sogar die Dyskinesie ist fast völlig abgeklungen. Ich muss mich vor nichts fürchten. Die Untersuchung wird mir nicht wehtun, weil meine Ängste auf dummen, verrückten Einbildungen beruht haben, an die ich nicht mehr glaube. Es ist nur eine Gewohnheit. Mir geht es gut.
Es ist alles nur im Kopf.
Ich bin zu unruhig, um im Bett zu bleiben, also stehe ich auf und wandere umher, blicke auf die Uhr und bedaure, dass ich kein Fenster habe. Da wird mir klar, dass ich seit zwei Monaten die Sterne nicht mehr gesehen habe. Im Gemeinschaftsraum gibt es zwar Außenfenster, doch dort halten wir uns nur tagsüber auf. Ich folge dem Impuls, öffne die Tür und lausche auf den Nachtwächter. Barfuß husche ich den Flur entlang. In dem großen Gemeinschaftsraum ist es dunkel, schwaches Mondlicht fällt durch die Fenster herein. Auf der anderen Seite erkenne ich das grelle gelbe Licht des Stationszimmers. Irgendwo läuft ein Fernseher. Eigentlich dürfen wir nachts die Zimmer nicht verlassen, doch wenn ich leise bin, bemerkt mich niemand.
Zwischen den Tischen und Stühlen suche ich mir einen Weg zum Fenster, lehne mich an das Metallgitter und spähe zum Himmel hinauf. Die Gitterstäbe drücken mir kalt gegen die Wange. Es ist eine wolkenlose Nacht, ich erkenne helle Sterne. Etwa ein Dutzend zähle ich. Das benachbarte Gebäude verdeckt die Hälfte des Himmels. Ich gehe zum nächsten Fenster, um besser sehen zu können. Die Sterne sind winzig und im Streulicht der Stadt kaum auszumachen. Ich presse das Gesicht gegen
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