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Du stirbst zuerst

Du stirbst zuerst

Titel: Du stirbst zuerst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Wells
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das Gitter und starre hinauf.
    Der Himmel ist ein geometrisches Puzzle, zerschnitten und wieder zusammengefügt durch kalte Metallstäbe.
    Hinter mir sind Schritte zu vernehmen. Rasch drehe ich mich um, weil ich nicht erwischt werden will, doch das Geräusch ist ein Stück entfernt auf dem Flur zu hören. Bisher hat mich noch niemand entdeckt, aber ich kann nicht in mein Zimmer zurückkehren. Ich bin von Fenster zu Fenster bis in die hintere Ecke des Raums gegangen, wo der Fernseher steht. Vorsichtshalber lege ich mich hinter einem Sofa auf den Boden. Die Schritte nähern sich, zugleich gibt es noch ein anderes Geräusch. Ein schrilles Quietschen, das hin und wieder aussetzt. Es kommt mir irgendwie bekannt vor. Ich krieche zur Ecke des Sofas und entdecke im Flur eine dunkle Gestalt. Es ist der Raumpfleger, der einen Wischmopp und einen Rolleimer vor sich herschiebt. Die Räder habe ich schon einmal quietschen hören, doch ich habe den Mann noch nie gesehen. Wie die Sterne ist er nur in der Nacht da.
    Ich ziehe mich wieder hinter das Sofa zurück und warte darauf, dass er zur Pforte geht und verschwindet. Stattdessen hört das Quietschen auf. Ich spähe hinüber und sehe ihn im Dunklen stehen – er wischt nicht mehr, er rührt sich nicht, er steht nur da. Mir scheint, er hat etwas in den Händen, etwas Breites und Flaches, aber in dem schwachen Licht kann er es wohl nicht richtig betrachten. Ich verstecke mich wieder.
    So etwas Dummes. Er ist doch nur ein Raumpfleger, und es ist ihm egal, ob ich im Zimmer bin oder nicht. Ich sollte sofort zurückkehren, ehe der Wächter auftaucht, und alles ist gut.
    Ich darf nicht so paranoid sein.
    Kopfschüttelnd hole ich Luft. Ich bin seit zwei Monaten hier und fühle mich besser denn je, ich bin schon so gut wie geheilt. Wenn die letzte Aufgabe, die ich bewältigen muss, diese dummen, alten Ängste sind, dann sollte ich sie am besten frontal angehen. Ich stehe auf. Der Raumpfleger wischt wieder und bewegt sich langsam rückwärts in meine Richtung. Ich umrunde einen langen Tisch und spreche ihn vorsichtig an.
    »Entschuldigung, ich wollte gerade wieder in mein Zimmer …«
    Dann wendet er sich um. Die Welt hält an, und mir bleibt das Herz stehen.
    Er hat kein Gesicht.
    »Ähm … ähm.« Mein Mund stammelt von allein, denn ich bin viel zu schockiert, um irgendetwas Sinnvolles zu sagen. Der Mann lässt den Mopp sinken und geht einen Schritt auf mich zu.
    »Michael«, flüstert er.
    Ich kann nicht antworten. Jetzt lässt er den Mopp mit lautem Klappern zu Boden fallen und kommt näher. Der erste Schritt ist noch langsam, doch als ich zurückweiche, läuft er los. Mit weit aufgerissenen Augen stolpere ich rückwärts und stoße gegen einen Metallstuhl. Er hat mich fast erreicht, das Gesicht ist ein verschwommenes dunkles Nichts. Ich gerate in Panik – es ist ein rein animalischer Instinkt –, packe den Metallstuhl, drehe mich einmal um mich selbst und schmettere ihm das Möbelstück in das entsetzliche leere Gesicht, gerade als er sich auf mich stürzen will. Er fällt auf die Seite, und ich taumle zurück, weil mich der Schwung des Stuhls mitreißt. Mit einem lauten Knall prallt er auf den Boden und wirft zwei weitere Stühle um. Ich sinke auf die Knie und klammere mich an den Stuhl. Jeden Augenblick müsste der Wächter oder die Nachtschwester gerannt kommen, doch nichts passiert. Im Hintergrund dröhnt der Fernseher im Schwesternzimmer.
    Hat es denn niemand gehört?
    Ich betrachte den gestürzten Raumpfleger, den formlosen schwarzen Schatten. Er rührt sich nicht. Langsam richte ich mich auf und schleiche auf ihn zu, während ich heftig nicke. Ich bin zu aufgeregt und kann es nicht unterdrücken. Der Mann liegt völlig reglos da. Er atmet nicht mehr.
    Ich habe ihn getötet.



Wieder hebe ich den Blick und sehe mich nach dem Nachtwächter um. Niemand kommt. Ich gehe um den Tisch herum und schleiche bis auf Armeslänge an den Toten heran, dann halte ich inne. Nichts. Ich hebe einen umgestürzten Stuhl auf und schiebe ihn weg, wage mich noch näher heran. Der Raumpfleger liegt auf dem Bauch, das Gesicht, falls er eins hat, ist zum Boden gerichtet. Vorsichtig stoße ich ihn an. Da er nicht reagiert, versetze ich ihm einen kräftigen Tritt. Als er sich immer noch nicht bewegt, richte ich mich auf, blicke mich noch einmal um und packe ihn am Arm, um ihn auf den Rücken zu drehen. Im schwachen Mondlicht erkenne ich ihn deutlicher – und es ist wahr. Es ist die ungeheuer

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