Du stirbst zuerst
humorlos und schlurfe weiter. »Wenn es nur so wäre.«
Wir biegen an der nächsten Ecke ab. Der Polizeiwagen folgt uns. Es ist eine Nebenstraße mit nur zwei Spuren. Ein anderes Auto kommt uns langsam entgegen. Der Polizist beugt sich aus dem Fenster, um mich genauer zu betrachten. »Woher haben Sie den Overall?«
»Sie wissen es«, zische ich.
»Geh einfach weiter.« Lucy lässt meinen Arm los. »Ich kümmere mich darum.«
»Wir möchten Sie gern näher ansehen, Sir«, sagt der Polizist und fährt ein paar Schritte voraus. Sie wollen anhalten und mir den Weg abschneiden. Lucy entfernt sich auf einmal von mir und rennt hinter dem Streifenwagen auf die Straße. Ich folge ihr ein paar Schritte weit und schreie auf, als mir bewusst wird, was sie vorhat.
Sie läuft genau in das sich nähernde Auto hinein.
Ich fuchtele wild mit den Armen und trete auf die Straße, um sie aufzuhalten. »Nein, Lucy!« Der Beamte, der den Streifenwagen steuert, sieht mich weglaufen und bemerkt Lucy ebenso wie der Fahrer des anderen Autos. Der andere Fahrer weicht aus, und der Polizist verliert für einen Moment die Kontrolle – gerade lange genug, um ein Stückchen nach links zu schlingern. Die beiden Wagen prallen mit einem leisen Knirschen aufeinander, die Scheinwerfer zerbrechen, und ich schreie wieder auf.
»Lucy!« Sie ist mitten zwischen …
Sie ist nicht da.
Ich werfe mich herum und suche Lucy im Schatten. »Lucy, wo bist du?« Lucy ist weg, als hätte sie nie existiert.
Lucy hat nie existiert.
Die Wagen haben sofort gebremst, und der Fahrer des Streifenwagens springt wütend aus dem Auto.
»Passen Sie doch auf!«
»Da war etwas auf der Straße!«
Sie haben sie gesehen. Sie ist nicht real, und trotzdem haben sie Lucy bemerkt. Was ist hier los?
»Ich …« Der Polizist hält inne, starrt die Straße an und deutet auf den Boden. »Er hat jemanden angeschrien, der genau hier war.«
Der zweite Beamte steigt ebenfalls aus und knallt verärgert die Tür zu. »Welcher Schwachkopf rammt einen fast stehenden Streifenwagen?«
Niemand achtet mehr auf mich. Sie haben viel zu viel mit ihrem Streit zu tun. Ich laufe zum Straßenrand und verschwinde durch eine schmale Einfahrt, an deren Ende ich über einen Holzzaun springe. Nachdem ich einen Parkplatz überquert habe, erreiche ich die nächste Straße. Wie lange dauert es, bis sie meine Abwesenheit bemerken? Lucy hatte recht, was die Gegend betrifft. Ich erkenne die Umgebung. Von hier aus finde ich allein nach Hause. Wie konnte sie das wissen?
Was ist real?
Ich laufe durch Gassen und Seitenstraßen, verstecke mich vor jedem Auto und horche auf Sirenen. Irgendwo pfeift ein Zug, obwohl ich weiß, dass es hier nirgends Bahngleise gibt. Wenigstens glaubte ich das früher zu wissen. Vielleicht ist das Geräusch real, und die Erinnerungen sind eine Täuschung.
Da, die Bäckerei, in der ich gearbeitet habe! Sie ist geschlossen und dunkel. Mister Mueller macht zeitig zu, weil er früh aufsteht und backt – meistens um vier Uhr morgens oder sogar noch eher, wenn er eine Bestellung hat. Die Backöfen sind erloschen, kalt und tot und leer.
Da erinnere ich mich an eine andere Leere – die leere Stadt. Was hat das zu bedeuten?
Über mir fliegt ein Hubschrauber vorbei, ein dunkles, donnerndes Loch im Himmel. Ich befinde mich in einer Wohngegend und schmiege mich an einen Baumstamm. Sucht der Hubschrauber nach mir? Er fliegt weg, und ich eile zur nächsten Straße, wo ich mich unter einem Carport verberge. Ein Hund bellt, zuerst weit entfernt, dann näher. Ich renne zum nächsten Haus in der Straße und stürme über den Rasen. Der Suchscheinwerfer des Hubschraubers ist die ganze Zeit keinen Meter hinter mir. Sie bemerken mich nicht.
Weitere Hunde. Ich spähe um das Auto in der Einfahrt herum zum Hinterhof. Kein Tor und kein Hund. Die Hunde müssen woanders sein. Suchhunde? Ich renne in den Hinterhof, springe am Holzzaun hoch und ziehe mich hinüber. Das Gebell wird lauter, aber die Meute ist noch weit weg. Wieder auf der Straße, lege ich im Dauerlauf einen ganzen Block zurück. Zwei Blocks weiter fährt ein Streifenwagen vorbei und verschwindet. Hinter mir wandert der Suchscheinwerfer über die Häuser. Ich wechsle die Straßenseite.
Jetzt rieche ich die Hunde – hechelnde große Tiere, die aufgebracht knurren und an den Leinen zerren. Wenn ich sie rieche, dann hilft mir der Wind. Solange er sich nicht dreht, wittern sie mich nicht. In der Nähe liegt ein Golfplatz mit einem
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