Du stirbst zuerst
Rechte erklärt.
»Sie haben das Recht zu schweigen«, sagt der Polizist auf einmal. »Was Sie sagen, kann vor Gericht gegen Sie verwendet werden. Sie haben das Recht auf einen Anwalt …«
»Ihr seid nicht real, nicht wahr?« Schockiert starre ich die Cops an. Sie tun alles, was meiner Meinung nach ein Polizist täte, aber erst nachdem es mir eingefallen ist – das Funkgerät, die Rechte, sogar die Art und Weise, wie sie sich aufgerichtet haben. »Ihr existiert nur in meinem Kopf.«
»Sie haben das Recht auf einen Anwalt.«
»Und was kommt als Nächstes?«, rufe ich. »Wenn Sie ein echter Cop sind, was kommt als Nächstes? Ich weiß es nicht, also wissen Sie es auch nicht.«
»Wenn Sie nicht …« Er hält inne und blickt seinen Kollegen verwirrt an. »Wenn Sie … auf Ihre Rechte verzichten, wird Ihnen ein Pflichtverteidiger gestellt.«
»War es das?«, frage ich.
»Ja, das war es. Legen Sie sich auf den Boden.«
Ich blicke zwischen den Polizisten und den Dienstwaffen hin und her. Sind sie echt? Kann ich es wagen?
Ich erinnere mich an Lucys Hände, die nur stark und greifbar waren, wenn ich der Illusion zugestimmt habe. Als ich ihr an diesem Abend begegnete, fühlte Lucy sich anfangs falsch an, nicht körperlich, als könne ich durch sie hindurchlaufen. Sie wurde erst real, als sie auch so sehen wollte. Ich darf nicht zulassen, dass diese Cops real sind.
Ich lasse die Arme sinken. Genau, das ist es.
»Aus dem Weg.«
»Heben Sie die Hände und drehen Sie sich um«, sagt der Cop.
»Ich gehe jetzt rein«, erwidere ich und schlucke nervös. »Wenn Sie glauben, Sie könnten mich aufhalten, dann versuchen Sie es doch.« Ich tue einen Schritt.
»Bleiben Sie stehen.«
Einen weiteren Schritt.
»Ich warne Sie, Michael. Wir schießen. Drehen Sie sich um, und heben Sie die Hände.«
Ich betrachte die Waffen, das kalte Metall, das im Mondlicht schimmert. Wie seelenlose Augen starren mich die Läufe an. Sie könnten real sein. Vielleicht töten sie mich gleich. Ich gehe einen weiteren Schritt vorwärts.
Sie weichen aus.
»Gehen Sie da nicht rein, Michael. Es wird Ihnen nicht gefallen.«
»Platz da«, sage ich und bin mit dem nächsten Schritt an ihnen vorbei. »Mit Ihnen bin ich fertig.«
»Das werden wir melden!«, ruft mir einer hinterher.
Ich bleibe stehen und sehe mich nervös um. »Wem denn?«
»Das weißt du doch«, erwidert er mit Grabesstimme.
Zitternd bleibe ich noch einen Augenblick lang stehen, dann gehe ich weiter. Es hat nichts zu bedeuten, sie wollen mir nur Angst einjagen. Als ich die hintere Veranda erreicht habe, wende ich mich noch einmal um. Sie sind verschwunden.
Ich steige die Stufen zur Hintertür hinauf und drehe den Griff herum. Es ist nicht abgeschlossen. Ich öffne die Tür und trete ein. Im Flur steht mein Vater mit einer Schrotflinte.
»Sie haben mir gesagt, dass du vielleicht hier auftauchst.« Er wackelt mit dem Gewehr. »Ich habe ihnen erklärt, dass du wahrscheinlich dumm genug bist, es tatsächlich zu versuchen.«
Ich bleibe unter der Tür stehen und starre meinen Vater an, der gelassen, fast gelangweilt mit der Flinte auf mich zielt, als sei es das Normalste auf der Welt, seinem Sohn ein solches Ding vor die Brust zu halten.
Schließlich kratzt er sich am Kopf. »Ich dachte, ich sehe dich nie wieder.«
Ich mache eine nervöse Bewegung, den Blick auf die Schrotflinte geheftet. »Hast du das nur gedacht oder gehofft?«
»Dein Arzt sagt, du bist verrückt«, fährt er fort. »Er sagt, du brauchst irgendeine neue Medizin, die dich entweder heilt oder umbringt. Machen Sie nur, hab ich geantwortet. So oder so bin ihn dann los.«
Ich nicke. »Ich gehe weg.«
Er packt die Flinte fester. »Du bist doch nicht hergekommen, nur um dich zu verabschieden.«
»Ich brauche meine Tabletten.«
»Du brauchst deine …« Er unterbricht sich, starrt mich an, schüttelt den Kopf und grinst höhnisch. »Du brauchst deine verdammten Tabletten – etwas Wichtigeres gibt es für dich wohl nicht im Leben.« Unvermittelt hebt er den Lauf und zielt auf mein Gesicht. »Wie ich dir schon sagte, ich will hier keinen obdachlosen Junkie haben.«
»Das ist keine Droge«, widerspreche ich. »Es ist Medizin. Ich habe Rezepte bekommen. Damit wird es mir besser gehen.«
»Dir wird es nie besser gehen!«, knurrt er. »Du warst schon bei deiner Geburt völlig daneben. Ich habe dein Leben lang Ärzte und Arzneien für dich bezahlt, Michael, aber es ist nie etwas dabei herausgekommen. Du bist jetzt
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