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Du stirbst zuerst

Du stirbst zuerst

Titel: Du stirbst zuerst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Wells
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können sie mich auch nicht aufspüren. Ich lege den Gang ein und starre auf die Straße. Linda hat sich bemüht, mich in der Therapie alltagstauglich zu machen, aber Autofahren stand nicht auf dem Programm. Die Hebel kommen mir fremd vor, als wären sie für einen ganz anderen Körper geschaffen. Ich kann nicht weiterfahren.
    Ich muss. Das Kribbeln in den Füßen und Beinen fühlt sich seltsam an und tut weh, aber es lähmt mich nicht, und es fällt mir immer leichter, nicht darauf zu achten. Der Verkehr fließt schneller, als mir lieb ist, aber ich komme zurecht. In der Nähe erkenne ich sogar ein Schild – es ist der Highway achtundachtzig, nicht Highway vierunddreißig, aber auch auf diesem Weg komme ich zur Holiday Street. Ich ordne mich ein, passe mich an die anderen Fahrzeuge an und lenke den Wagen über den Highway. Dort komme ich leichter voran, keine Ampeln und Abzweigungen, kein Querverkehr. Ich packe das Lenkrad so fest, dass die Knöchel weiß anlaufen. Scheinwerfer und Rücklichter sausen an mir vorbei wie Säulen aus reiner Farbe. Schließlich finde ich die richtige Ausfahrt und die Straße, in der sie wohnt, dann parke ich vor dem Gebäude.
    Es ist ein Apartmenthaus, aber ohne Tor und Türsteher. Ich gehe hinein, steige die Treppe hoch und suche die Nummer siebzehn A. Hinter dem Fenster brennt Licht.
    Wird sie mich melden? Gehört sie zu den Anderen? Behutsam klopfe ich an.
    Sie öffnet, erkennt mich und kreischt. Voller Panik lege ich ihr die Hand auf das Gesicht und stoße sie nach drinnen.



Sie wehrt sich, sträubt sich und weicht zurück. Eine Hand presse ich ihr auf den Mund, den anderen Arm lege ich ihr um die Schultern und drücke mit dem Fuß die Tür zu. Sie tritt und schlägt auf mich ein.
    »Nicht schreien«, sage ich. »Ich will Ihnen nichts tun. Sie sollen nur aufhören zu schreien.«
    Sie beißt mich in die Hand, ich heule vor Schmerzen beinahe auf und muss sie loslassen. Stolpernd flieht sie vor mir und stürzt, will an die Handtasche gelangen und springt über das Sofa.
    »Die haben mich gewarnt, dass es passieren könnte. Ich sollte eben nicht mit Verrückten reden.«
    Ich folge ihr und entreiße ihr die Handtasche. Eine Sprühflasche mit Tränengas rollt über den Boden. Sie tritt mich wieder und trifft mich so heftig an der Brust, dass mir die Luft wegbleibt. Ich würge atemlos, unterdessen stürzt sie zu der kleinen Theke, die den Wohnbereich von der Küche trennt, und klappt ein Handy auf.
    Woher weiß sie es?
    Ich ringe nach Luft, atme tief durch und springe gerade rechtzeitig los, um ihr auf die Hände zu schlagen. Sie kreischt und lässt das Handy fallen. Die Finger röten sich nach meinem Hieb. Ich hebe das Handy auf, bewege die Klappe zu weit und zerbreche es. Sie schreit auf und will zur Tür, doch ich packe sie am Arm und reiße sie zurück. Schluchzend fällt sie hin. Vorsichtig lasse ich sie los und versperre ihr den Fluchtweg.
    »Ich will Ihnen nichts tun«, sage ich noch einmal. Sie weint. »Ich wollte Sie nicht angreifen oder verletzen oder sonst etwas, ich will nur reden.«
    »Sie haben mir die Finger gebrochen, Sie Dreckskerl.«
    »Das tut mir leid. Sie haben mir Angst eingejagt, und ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich wollte mich nicht schocken lassen.«
    »Schocken?«
    »Mit dem Handy.« Ich deute auf die Trümmer. »Sie wollten mich mit dem Handy angreifen.«
    »Ich wollte die Polizei anrufen, Sie Idiot.« Ihr Gesicht ist vor Schmerzen und Angst verzerrt.
    Ich habe es vermasselt.
    »Die Polizei sagte, wahrscheinlich würden Sie nicht persönlich hier auftauchen.« Mit dem Handrücken wischt sie sich die Augen trocken. »Das darf ich dann wohl meinem geschändeten und verstümmelten Leichnam erzäh­len, was?«
    »Ich sagte doch schon, ich wollte Ihnen nichts tun.«
    »Sie haben mich angegriffen!«
    »Sie haben geschrien«, sage ich. »Ich bin in Panik geraten. Viele Leute suchen nach mir, und ich kann es mir nicht erlauben, noch mehr Aufmerksamkeit zu erregen.«
    »Warum sind Sie überhaupt gekommen?«
    »Weil ich Hilfe brauche.« Ich hocke mich hin, be­wache zwar immer noch die Tür, bin aber fast auf Augenhöhe mit ihr. »Ich schaffe es nicht allein. Da ist etwas Großes im Gang. Einige Bröckchen kenne ich, die anderen haben Sie. Gemeinsam können wir uns vielleicht genug zusammenreimen, um es zu verhindern.«
    »Sie meinen die Morde.«
    »Ich meine alles Mögliche: den Wellnesskiller, die Gesichtslosen, die Kinder der Erde. Alles hängt irgendwie

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