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Du und ich und all die Jahre (German Edition)

Du und ich und all die Jahre (German Edition)

Titel: Du und ich und all die Jahre (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Silver
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ist passiert? Was ist los? Mach die Tür auf! Mom! Ich muss ihn sehen. Er ist mein Freund!»
    Schließlich kam Charles hoch, brachte mir eine Tasse Tee und überredete mich, mit ihm nach unten zu gehen. Quälende fünfzehn Minuten später kamen Mom und Julian zu uns in die Küche. Ein paar Minuten lang saßen wir alle vier um den Küchentisch, ohne dass jemand ein Wort sagte, alle nippten nur an ihrem Tee. Julian sah fürchterlich aus. Die rechte Hälfte seines Gesichts war geschwollen und hatte sich leuchtend rotviolett verfärbt. Seine Unterlippe war aufgesprungen; er betupfte sie immer wieder mit einem Papiertaschentuch. Ich konnte den Blick nicht von ihm abwenden; er hatte mich noch nicht einmal angesehen.
    Nach einer gefühlten Ewigkeit ergriff Mom endlich das Wort. «Ich glaube, ich sollte deine Eltern anrufen, Julian.»
    «Bitte nicht, Mrs. Blake.» Er wirkte elend. «Ich will jetzt nicht mit ihnen reden.»
    «Sie machen sich bestimmt Sorgen um dich», sagte Mom.
    «Nein, sicher nicht. Noch nicht. Sie erwarten mich nicht vor Mitternacht zurück zu Hause.»
    «Na ja, irgendwann werde ich sie anrufen müssen.»
    «Aber jetzt noch nicht, bitte.»
    Für einen Moment herrschte wieder Schweigen. Außer dass wir abwechselnd Tee schlürften, war nichts zu hören. Dann sagte Charles: «Auf jeden Fall sollten wir die Polizei rufen.»
    «Nein!» Julian sprang auf. «Das macht es nur noch schlimmer.»
    «Julian, du bist böse verprügelt worden, das darfst du nicht einfach so auf sich beruhen lassen …»
    «Ich werde keine Anzeige erstatten», sagte er und sah aus, als würde er gleich anfangen zu weinen.
    «Julian …»
    Er riss seine Jacke von der Stuhllehne und wollte abhauen.
    «Wartet alle mal einen Augenblick», sagte ich, und zum ersten Mal sah er mich direkt an. «Vielleicht können Jules und ich kurz unter vier Augen miteinander reden», schlug ich vor. Er streckte die Hand aus und wischte mir eine Träne von der Wange. «Mom, bitte?»
    Und da waren wir wieder. Julian und ich, auf meinem Bett, ein paar Minuten vor Mitternacht. Keiner von uns sagte ein Wort, Julian rauchte eine Zigarette. Dann warf er die Kippe aus dem Fenster und nahm meine Hand.
    «Wie geht es dir, Nic?», fragte er und starrte dabei die Tagesdecke an.
    «Julian, um Himmels willen, was ist los? Wer hat dir das angetan?»
    «Es tut mir so leid, dass ich dir weh getan habe», sagte er. Er konnte mir noch immer nicht in die Augen sehen. «Das habe ich nicht gewollt. Ich wusste … Ich wusste nicht, was ich tun sollte.»
    «Was du inwiefern tun solltest?»
    «Ach, alles.» Er ließ meine Hand los und stand auf.
    «Bitte, geh nicht weg, Jules. Sag mir bitte, was los ist.»
    Er stand mit dem Rücken zu mir vor dem Poster von Klimt und schien es angestrengt zu mustern.
    «Ich war bei Craigs Party», sagte er endlich.
    «Heute Abend?»
    «Ja. Und … Ich habe schon ewig darüber nachgedacht … Ich musste mit jemandem reden … Es war natürlich genau der falsche Zeitpunkt, ziemlich blöd von mir, aber ich hatte ein paar Bier getrunken und dachte, weißt du, egal … Craig ist mein Freund, wir kennen uns schon seit Ewigkeiten.»
    «Okay», sagte ich. Ich hatte keinen Schimmer, wo diese Geschichte hinführen würde.
    «Also sind wir vor die Tür gegangen, um was zu rauchen, und da habe ich es ihm gesagt.»
    «Was hast du ihm gesagt?»
    «Dass ich schwul bin.» Er drehte sich um und lächelte mich mit dem traurigsten Lächeln an, das ich je gesehen hatte. Ich machte den Mund auf, brachte aber keinen Ton heraus. «Aber das wusstest du natürlich schon.»
    «Nein, wusste ich nicht», sagte ich endlich. «Ich hatte keine Ahnung …»
    «Nic, das muss dir doch aufgefallen sein.»
    «Hast du deswegen … Deswegen hast du mit mir Schluss gemacht. Deswegen wolltest du nicht mit mir schlafen.»
    Er setzte sich wieder auf mein Bett und umarmte mich. «Ich wollte mit dir schlafen wollen», murmelte er in meine Haare hinein. «Ich wollte es wirklich.»
    Eine Zeitlang blieben wir so sitzen, hielten uns eng umschlungen, weinten beide ein bisschen. Schließlich löste ich mich aus seiner Umarmung, wir putzten uns die Nasen und kicherten verlegen. Ich konnte den Countdown bis Mitternacht vom Fernseher im Erdgeschoss hören.
    «Frohes neues Jahr, Nic», sagte Julian, als der Countdown bei null angekommen war, und gab mir einen vorsichtigen Kuss.
    «Ich fasse es nicht, was Craig dir angetan hat», sagte ich und berührte sanft seine Lippen.
    «Nein, er war das

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