Du und ich und all die Jahre (German Edition)
auf den Stufen zurück.
Es war das letzte Mal, dass wir miteinander gesprochen hatten. Alles war so fürchterlich, denn auch wenn es sich albern anhörte (wie Emma Bradley nicht müde wurde zu betonen), waren wir uns in diesen Wochen so nahe gewesen, als wären Jules und ich beste Freunde. Wahrscheinlich war das der Grund, warum Emma mich immer so mitleidig ansah, wenn ich über ihn redete. Ich hatte also nicht nur meinen Freund verloren, ich hatte auch meinen besten Freund verloren, und das machte es so schwierig. Er war der einzige Mensch, mit dem ich darüber reden wollte, wie ich mich fühlte, der einzige Mensch, der das verstanden hätte, und natürlich der einzige Mensch, mit dem ich nicht darüber reden konnte.
Als er im Sommer anrief, war ich versucht gewesen, ans Telefon zu gehen. Ich war sogar ganz kurz davor. Die Vorstellung, endlich wieder mit ihm zu sprechen – über die Bücher, die ich gelesen hatte, ihn zu fragen, was er von Kill Uncle hielt –, war einfach zu verlockend. Außerdem wollte ich wirklich wissen, wie es ihm ging. Das klingt natürlich seltsam, denn immerhin hat er mit mir Schluss gemacht, aber in der Schule kursierten alle möglichen Gerüchte, und ich machte mir tatsächlich Sorgen.
Er hatte in letzter Zeit viel geschwänzt, immer häufiger im Laufe des Schuljahres. Zuerst war ich erleichtert gewesen: Ich war froh, dass wir uns nicht so oft begegneten, doch nach einer Weile kam es mir komisch vor. Ich wusste, dass er unangepasst war, aber auch, dass er gute Noten brauchte, um eine der renommierten Kunsthochschulen besuchen zu können. Mom war noch immer eng mit Julians Mutter befreundet und hatte mir erzählt, dass Schuleschwänzen bei weitem nicht alles war. Er hätte sich eine Menge Ärger eingehandelt, meinte sie. Wenn er überhaupt nach Hause kam, war er zugedröhnt oder betrunken, er prügelte sich und redete kaum noch mit seinen Eltern. «Sheila ist mit den Nerven am Ende», hatte Mom mir erzählt. «Sie weiß einfach nicht, was sie mit ihm machen soll.»
Die Gerüchte, die in der Schule umgingen, waren vielfältig: Julian Symonds hatte ernsthafte Drogenprobleme; Julian Symonds war Satanist; Julian Symonds war ein kompletter Außenseiter, ein Spinner. Im Grunde meines Herzens befürchtete ich, dass alles sei meine Schuld. Vielleicht hatte man ihn aus der coolen Clique geschmissen, weil er unbegreiflicherweise mit einem Niemand aus der achten Klasse zusammen gewesen war?
Ein Teil von mir – ein wenig mitfühlender Teil – fand, es geschähe ihm ganz recht. Er hatte mir das Herz gebrochen; ich hatte sein Leben ruiniert. Julian hatte bekommen, was er verdiente. Natürlich glaubte ich das nicht wirklich, eigentlich gar nicht. Der Teil von mir, der in den wunderbaren fünf Wochen seine beste Freundin gewesen war, machte sich große Sorgen. Dennoch widerstand ich der Versuchung, mit ihm zu sprechen, und versuchte, so gut es ging, ihn aus meinen Gedanken zu verbannen.
An Silvester aber klappte das nicht mehr. Besonders deswegen, weil ich nichts Aufregendes vorhatte, um mich abzulenken. Nur das Abendessen mit Mom und Charles. Sie waren seit dem Sommer zusammen. Zumindest offiziell. Ungefähr fünf Minuten nachdem Dad das Haus verlassen hatte, hatten sie angefangen sich zu treffen und waren auf einmal «enge Freunde». Etwas unpassend in der Situation. Zuerst, speziell nach meiner Trennung von Julian, hatten Mom und ich uns ziemlich viel gestritten. Allerdings reichten ein paar von Dads nächtlichen Besuchen im Vollrausch, und ich schlug mich wieder auf ihre Seite. Charles war sanft, rücksichtsvoll (und Arzt) und besaß einen überraschend trockenen Humor – eine echte Alternative zu meinem wütenden, unzurechnungsfähigen Vater. Ich konnte meine Mutter schon verstehen.
Außerdem war es schwer, Charles nicht zu mögen. Er war wirklich sehr nett zu mir und das nicht auf eine unangenehme Ich-will-deinen-Vater-ersetzen- oder (noch schlimmer) Ich-will-dein-bester-Freund-sein-Art. Er war einfach ernsthaft bemüht. Er versuchte mich einzubeziehen. Wenn Mom und er ins Kino gingen, fragte er immer, ob ich mitkommen wollte. Selbst wenn der Film erst ab achtzehn war und obwohl er wusste, dass ich nein sagen würde. (Im Ernst, wer geht denn mit seinen Eltern ins Kino?) Wenn ich ablehnte, also immer, versuchte er nicht, mich zu überreden, sondern sagte bloß: «In Ordnung. Sollen wir dir Weingummi mitbringen?»
Außerdem lieh er mir eine Wagenladung Bücher. Und die waren viel
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