Du und ich und all die Jahre (German Edition)
aufdringlicher Typ, dachte ich, aber mein Herz klopfte. Liegt nur daran, dass er wie Jules aussieht, dachte ich. Ansonsten ist er herablassend und selbstgefällig. Und ganz schön alt.
Oben saß Julian vor meinem Spiegel und untersuchte seine Wunden.
«Kann ich hierbleiben?», fragte er ängstlich, als ich den Raum betrat.
«Ich glaube schon, aber du musst zuerst nach unten und mit deinem blöden Cousin reden.»
«Oh Mist! Aidan. Scheiße, den habe ich ganz vergessen. Er hat gesagt, er holt mich nach der Party ab.» Dann grinste er mich an. «Warum ist er denn blöd? Was hat er gemacht?»
«Er ist nur … total herablassend», sagte ich. Dabei konnte ich fühlen, dass ich rot wurde.
«Okay», sagte Julian und lächelte mich ein wenig spöttisch an. «Dann gehe ich besser runter und rede mit ihm.»
Julian und sein Cousin unterhielten sich vor der Tür miteinander. Ich beobachtete sie heimlich durch die Wohnzimmergardine. Jules erzählte, was passiert war, dabei trat er von einem Fuß auf den anderen, unterbrach sich von Zeit zu Zeit und schlug die Hände vors Gesicht; Aidan lehnte an seinem Motorrad, rauchte und hörte ruhig zu. Endlich, wahrscheinlich am entscheidenden Punkt der Geschichte, warf er seine Zigarette weg und fing an zu brüllen.
«Warum hast du mich nicht angerufen? Ich wäre sofort gekommen.» Er setzte den Helm auf und schwang sich auf sein Motorrad.
«Wo willst du hin?», hörte ich Julian fragen.
«Diesen Arschlöchern was erzählen», antwortete er und ließ die Maschine an.
Danach konnte ich nicht mehr verstehen, was sie sagten, weil das Motorrad zu laut war. Ich sah nur, wie Julian gestikulierte und seinen Cousin offensichtlich anflehte, nichts Dummes zu tun. Viel Glück, dachte ich bei mir. Aidan sah aus wie jemand, dem Dummheiten – oder zumindest Leichtsinn – nicht fernlagen.
Ich fragte mich gerade, ob ich hinausgehen und eingreifen sollte, als die Haustür ins Schloss fiel. Zu meinem Entsetzen rannte Mom in die Einfahrt, und sie konnte ich trotz des Krachs verstehen.
«Das reicht!», schrie sie und fuchtelte mit den Händen. Aidan stellte den Motor ab. «Sie», sagte sie zu ihm, «gehen jetzt. Und wehe, mir kommt zu Ohren, dass Sie mitten in der Nacht bei Julians Eltern auftauchen. Julian, geh ins Haus. Ich habe mit deiner Mutter gesprochen, du kannst hierbleiben. Aber du gehst jetzt sofort schlafen. Ich habe das Bett im Gästezimmer für dich bezogen.»
Es war mir sehr unangenehm, aber ich musste lächeln. Die beiden Jungs konnten es mit meiner Mutter nicht aufnehmen, also taten sie, was sie verlangte. Aidan ließ sein Motorrad wieder an und fuhr los, Julian hingegen ging zurück ins Haus und beeilte sich, nach oben und ins Bett zu kommen.
Es war gerade kurz nach eins, als ich hörte, wie meine Mutter ihre Schlafzimmertür hinter sich schloss, sodass ich mein Zimmer unbemerkt verlassen konnte. Ich schlich auf Zehenspitzen den Flur hinunter, öffnete die Tür zum Gästezimmer und schlüpfte hinein.
«Bist du wach?», flüsterte ich.
«Ja.»
«Ist alles in Ordnung?»
«Ich glaube schon.»
«Willst du mit mir reden?»
Julian schlug die Decke zurück, ich kroch zu ihm ins Bett und schmiegte mich an ihn.
«Wollen wir schnell noch eine Liste mit Vorsätzen machen?», fragte er.
«Du zuerst.»
«Okay, erstens hatte ich vor, mich vor meinen Freunden zu outen, da bin ich wohl ein bisschen voreilig gewesen. Zweitens: mich vor meinen Eltern outen.»
«Deine Eltern sind in Ordnung, Julian, die kommen damit klar.»
«Mom schon. Aber Dad wird enttäuscht sein. Ich weiß, dass er es nicht sein will, aber er kann nichts dagegen tun.»
Ich drückte ihn.
«Nicht so fest», murmelte er. «Ich glaube, eine Rippe ist gebrochen.»
«Entschuldigung.»
«Drittens: mit dem Rauchen aufhören.»
«Das wolltest du schon letztes Jahr.»
«Und nächstes Jahr werde ich es mir wahrscheinlich wieder vornehmen.»
«Viertens: mich wirklich auf die Schule konzentrieren. Ich will nächstes Jahr unbedingt nach St Martin’s, und dafür brauche ich ein Einserzeugnis.»
«Das schaffst du leicht, Jules. Du bist total begabt.»
Er küsste mich im Dunkeln auf die Schläfe und drückte mich ein bisschen fester an sich.
«Und fünftens: na ja … Ich wollte zwischen uns alles wieder in Ordnung bringen. Aber vielleicht … Ich weiß nicht … Kannst du mir verzeihen, Nic?» Seine Stimme war tränenerstickt, und ich fing ebenfalls an zu weinen. «Es tut mir so leid, dass ich dir weh getan
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