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Du und Ich

Du und Ich

Titel: Du und Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niccolò Ammaniti
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Zorn, der mich Hals über Kopf losstürzen ließ? Ich war eine leere Batterie. Vor lauter Angst war ich nicht einmal in der Lage, den Sicherheitsgurt aufzumachen.
    »Warum? Was habe ich getan?«, fragte meine Mutter, als hätte man sie mitten ins Herz getroffen, wankte und schaffte es gerade noch, sich eine Hand auf die Brust zu legen.
    »Aber hallo, Schätzchen!« Aus dem Fenster des Smart tauchte das runde Gesicht eines lockenköpfigen drallen Mädchens mit grüner Brille und violettem Lippenstift auf. Ich hatte sie noch gar nicht gesehen. »Weißt du, was du bist, Schätzchen? Nur eine dumme Kuh in einem BMW. Du bist uns draufgefahren. Wir haben den Parkplatz zuerst gesehen.«
    Der Lazio-Fan zeigte inzwischen mit der offenen Hand auf meine Mutter. »Nur weil du eine vor Geld stinkende vertrocknete feine Tussi bist, glaubst du, du kannst verdammt noch mal machen, was du willst. Dir gehört wohl die Welt, hä?«
    Die Lockenköpfige im Smart fing an, in die Hände zu klatschen. »Geil, Teodoro. Stoß dieser Schlampe Bescheid!«
    Ich musste eingreifen, doch ich dachte nur darüber nach, dass der Typ Teodoro hieß und ich sonst keinen mit diesem Namen kannte.
    Ich holte Luft, um diesen blöden Gedanken zu verscheuchen. Meine Ohren und mein Hals waren glühend heiß, und mir drehte sich der Kopf.
    Vielleicht hieß Teo, der alte Cockerspaniel von der Frau aus dem ersten Stock, eigentlich Teodoro.
    Ich musste sofort weg von hier. Ich hatte nichts mit der ganzen Geschichte zu tun. Ich hatte ihr gesagt, dass das Kleid zu offenherzig sei, und wenn sie auf mich gehört hätte …
    Ich machte den Sicherheitsgurt auf, doch ich konnte mich nicht bewegen.
    Ich saß auf einem steinernen Riesen, der mich in seinen Armen festhielt und nicht gehen ließ.
    Ich sah auf den Bürgersteig, in der Hoffnung, dass irgendjemand uns helfen würde. Die Passanten waren nur schemenhaft zu erkennen.
    Der Lazio-Typ packte meine Mutter am Handgelenk und zerrte an ihr. »Sieh dir das an, Schätzchen. Sieh dir an, was du angerichtet hast.«
    Meine Mutter verlor das Gleichgewicht und stürzte.
    Die schrille Stimme der Frau: »Teo! Teo! Lass gut sein, es ist spät. Die kapiert sowieso nichts. Diese scheißreiche Kuh.«
    Meine Mutter lag auf dem Pflaster, eine Laufmasche im Strumpf. Auf dem Pflaster mit all seinem Schmutz. In Rom reinigen sie die Straßen nicht. Die verseuchte Taubenkacke. Sie lag neben dem Autoreifen, der Typ war über ihr.
    Jetzt spuckt er auf sie, dachte ich.
    Doch er beschränkte sich darauf zu sagen: »Und danke Gott, dass du eine Frau bist. Sonst hätte ich dich jetzt …«
    Was hätte er jetzt getan, wenn sie keine Frau gewesen wäre?
    Mama schloss die Augen, und ich spürte, wie der Riese mich mit seinen steinernen Armen umklammerte und mir den Atem raubte, und dann durchbrach er mit einem Satz das Autodach, und er und ich flogen über diese Leute weg, über den Lazio-Fan, über meine Mutter, die auf dem Pflaster lag, über den Verkehr, über die Dächer voller Krähen und über die Kirchturmspitzen.
    Und ich wurde ohnmächtig.

 
5
    Um neun Uhr drang die Sonne in goldenen Strahlen durch die schmutzigen Scheiben. Vielleicht war es die Wärme der Heizungsrohre, jedenfalls hatte man Mühe, sich hier wach zu halten.
    Ich gähnte und ging in Unterhosen und T-Shirt ins Bad, um mir die Zähne zu putzen.
    Die Achselhöhlen blieben noch verschont. Ich war nicht gerade begeistert von der Idee, mich mit kaltem Wasser zu waschen, und außerdem durfte ich ruhig muffeln, wer musste mich schon riechen. Ich sprühte mich mit Selbstbräunungsspray ein und machte mir ein Brötchen mit Nutella.
    Ich beschloss, ein paar Stunden der Erforschung des Kellers zu widmen. All dieses Zeug gehörte der Vorbesitzerin, der Contessa Nunziante, die ohne Verwandte gestorben war. Mein Vater hatte die Wohnung mitsamt ihren Möbeln und Sachen gekauft und alles hier untergestellt.
    In den Schubladen einer dunklen Kommode fand ich bunte Kleider, Hefte mit Abrechnungen, ausgefüllte Rätselwochen , Schachteln voller Reißzwecken, Heftklammern, Füllfederhalter, transparente Steine, Muratti-Päckchen, leere Parfümfläschchen, trockene Lippenstifte. Es gab auch haufenweise Ansichtskarten. Cannes, Viareggio, Ischia, Madrid. Schwarz angelaufenes Silberbesteck. Brillen. Ich fand sogar eine blonde Perücke, die ich mir aufsetzte; dann zog ich einen Morgenrock aus orangefarbener Seide über. Ich begann im Keller umherzugehen, als wäre er der Salon in einem Schloss.

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