Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Du und Ich

Du und Ich

Titel: Du und Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niccolò Ammaniti
Vom Netzwerk:
mir und lag sicher auf der Couch, die Dackel zusammengerollt zu ihren Füßen. Auf dem kleinen Tisch Milch und Ciambellone. Sie würde dort einschlafen, vor einem Schwarz-Weiß-Film. Und mein Vater würde sie, wenn er zurückkam, wecken und ins Bett bringen.
    Ich setzte mir die Kopfhörer auf, und Lucio Battisti fing an, Ancora tu zu singen. Ich nahm sie wieder ab.
    Ich hasste dieses Lied.

 
4
    Das letzte Mal, dass ich Ancora tu gehört hatte, saß ich mit meiner Mutter im Auto. Wir standen im Stau auf dem Corso Vittorio. Eine Demonstration hatte die Piazza Venezia blockiert, und wie eine Hitzewelle hatte sich der Stau ausgebreitet und den Verkehr in der Innenstadt lahmgelegt.
    Ich war den Vormittag über mit meiner Mutter in ihrer Galerie gewesen, um ihr zu helfen, die Bilder eines französischen Künstlers zu hängen, dessen Ausstellung in der nächsten Woche eröffnet würde. Mir gefielen diese riesigen Fotografien von Leuten, die allein in überfüllten Restaurants aßen.
    Die Mopeds fuhren Slalom zwischen den stillstehenden Autos. Auf den Stufen einer Kirche schlief ein Penner, der in einem schmutzigen Schlafsack steckte und sich Müllsäcke um den Kopf gewickelt hatte. Er sah aus wie eine ägyptische Mumie.
    »Verflixt! Was ist denn da los?« Meine Mutter fing an zu hupen. »Diese Stadt ist nicht mehr zu ertragen … Würdest du gern auf dem Land leben?«
    »Wo?«
    »Ich weiß nicht … In der Toskana zum Beispiel.«
    »Wir beide?«
    »Papa würde an den Wochenenden kommen.«
    »Und wenn wir ein Haus auf Komodo kaufen würden?«
    »Wo ist Komodo?«
    »Das ist eine ferne Insel.«
    »Und warum sollten wir dort hinziehen?«
    »Da gibt es die Komodowarane. Das sind riesige Echsen, die sogar eine lebendige Ziege fressen können oder einen Menschen, der nicht schnell genug wegkommt. Sie sind wahnsinnig flink. Wir könnten sie zähmen. Und sie würden uns verteidigen.«
    »Gegen wen?«
    »Gegen alle.«
    Meine Mutter lächelte, stellte das Autoradio lauter und begann mit Lucio Battisti zu singen. »Ancora tu. Non mi sorprende lo sai …«
    Ich fing auch an mitzusingen, und als die Strophe Amore mio hai già mangiato o no? Ho fame anch’io e non soltanto di te kam, nahm ich wie ein verzweifelter Liebhaber ihre Hand.
    Meine Mutter lachte und schüttelte den Kopf. »Wie schwachsinnig … Echt schwachsinnig …«
    Ich merkte, dass ich glücklich war. Die Welt außerhalb des Autos und Mama und ich in einer Blase im Verkehr. Es gab keine Schule mehr, keine Hausaufgaben und auch die Milliarden Dinge nicht, die ich würde tun müssen, um groß zu werden.
    Doch plötzlich drehte meine Mutter das Radio leiser. »Sieh mal das Kleid da im Schaufenster. Wie findest du das?«
    »Schön. Vielleicht ein bisschen offenherzig?«
    Meine Mutter sah mich erstaunt an. »Offenherzig?! Wo hast du denn das Wort her?«
    »Habe ich in einem Film gehört. Da war eine, von der sie sagten, sie hätte ein offenherziges Kleid an.«
    »Weißt du denn, was das heißt?«
    »Klar«, sagte ich. »Dass es zu viel sehen lässt.«
    »Ich glaube nicht, dass dieses Kleid zu viel sehen lässt.«
    »Vielleicht auch nicht.«
    »Soll ich es anprobieren?«
    »Okay.«
    Und wie durch Zauberei fuhr vor uns ein Geländewagen aus einer Parklücke. Instinktiv schlug meine Mutter ein, um den freien Platz zu besetzen.
    Ein harter Schlag gegen die Karosserie. Mama stieg auf die Bremse und ließ die Kupplung los. Ich flog nach vorn, doch der Sicherheitsgurt hielt mich auf dem Sitz, der Motor ging stotternd aus.
    Ich wandte mich um. Ein gelber Smart klebte an der Hecktür des BMW.
    Er war auf uns draufgefahren.
    »O nein. Was für ein Mist!«, stöhnte meine Mutter und ließ das Seitenfenster herunter, um sich den Schaden anzusehen.
    Ich streckte mich und sah auch hinaus. An der Seitenwand vom BMW nicht einmal ein Kratzer, ebenso wenig an der Bulldoggenschnauze des Smart. Hinter der Scheibe des kleinen Autos lag ein Tausendfüßler aus weiß-blauem Plüsch mit der Aufschrift LAZIO. Dann bemerkte ich, dass am Smart der linke Rückspiegel fehlte. Aus dem Loch, wo er einmal befestigt war, hingen bunte Drähte heraus. »Da, Mama!«
    Die Tür ging auf, und aus dem Smart wölbte sich der Rumpf eines Mannes, der ein Meter neunzig groß und achtzig Zentimeter breit sein musste.
    Ich fragte mich, wie er es schaffte, in diese kleine Blechbüchse reinzukommen. Er kam mir vor wie ein Einsiedlerkrebs, der den Kopf und die Scheren aus seiner Muschel streckt. Er hatte kleine blaue Augen,

Weitere Kostenlose Bücher