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Du und Ich

Du und Ich

Titel: Du und Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niccolò Ammaniti
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wie die Stiefschwestern in Aschenputtel . Doch ganz im Gegenteil: Sie war unglaublich schön, eines jener Mädchen, bei denen du, sobald du sie ansiehst, knallrot wirst und jeder merkt, dass du sie schön findest, und wenn sie was zu dir sagt, weißt du nicht, was mit den Händen tun, du weißt nicht mal, wie du sitzen sollst. Sie hatte eine wahnsinnige Mähne blonder Locken, die ihr über den Rücken fielen, und graue Augen, und sie war übersät mit Sommersprossen, wie ich. Sie war groß und hatte einen vollen, üppigen Busen. Sie hätte die Königin in einem mittelalterlichen Reich sein können.
    Während des Essens hatte sie kaum etwas gesagt. Danach hatten sie und Papa sich ins Arbeitszimmer zurückgezogen. Sie war gegangen, ohne sich von irgendwem zu verabschieden.
    Ich dachte noch eine Weile über diesen komischen Anruf nach, dann sagte ich mir, dass ich ein viel größeres Problem hatte. Mein eigenes. Mit einer anderen Telefonkarte hätte ich eine SMS an meine Mutter schicken und so tun können, als wäre ich Alessias Mutter. Aber das würde nicht genügen. Mama wollte mit ihr sprechen.
    Ich sagte mit Kopfstimme: »Guten Tag, Signora, ich bin … die Mutter von Alessia … Ich wollte Ihnen sagen, dass es Ihrem Sohn gut geht und er viel Spaß hat. Auf Wiederhören.«
    Furchtbar. Sie hätte mich sofort erkannt.
    Ich nahm das Handy und schrieb:
    Mama, wir sind in einer Hütte im Hochgebirge. Das Handy hat keinen Empfang. Ich rufe dich morgen an. Hab dich lieb.
    Damit gewann ich einen Tag.
    Ich machte das Handy aus, verscheuchte meine Mutter aus meinem Kopf, warf mich aufs Bett, setzte mir die Kopfhörer auf und spielte Soul Reaver . Ich bekam es mit einem so schwierigen Boss zu tun, dass ich aus Wut, ihn nicht besiegen zu können, die Playstation ausschaltete und mir ein Brötchen mit Mayonnaise und eingelegten Pilzen machte.
    Wie gut es mir ging. Wenn man mir Essen und Wasser gebracht hätte, wäre ich für den Rest meines Lebens hiergeblieben. Und mir wurde klar, dass es für mich eine Gnade des Himmels wäre, in Isolationshaft im Gefängnis zu landen.
    Die Fliege hatte endlich den Schlupfwinkel gefunden, wo sie ganz sie selbst sein konnte, und genehmigte sich ein Nickerchen.
    Ich riss die Augen auf.
    Irgendjemand machte sich am Türschloss zu schaffen.
    Ich hatte nicht im Entferntesten damit gerechnet, dass jemand in den Keller kommen könnte.
    Ich starrte auf die Tür, doch ich schaffte es nicht, mich zu bewegen, es war, als klebte ich am Bett fest. Es schnürte mir die Kehle zu, und ich hatte Mühe zu atmen.
    Dann, als hätte ich mich aus einem Spinnennetz befreit, sprang ich mit einem plötzlichen Satz vom Bett, stieß mit dem linken Knie gegen die Kante des Nachtschränkchens, unterdrückte mit zusammengebissenen Zähnen einen Schmerzensschrei und schob mich hinkend in den schmalen Raum zwischen Schrank und Wand. Von dort schlüpfte ich, wobei ich mir die Beine zerkratzte, unter einen Tisch, wo eine Menge Teppichrollen lagen. Ich streckte mich darauf aus, während mir das Blut in den Ohren pochte.
    Draußen bekamen sie zum Glück die Tür nicht auf. Das Schloss war alt, und wenn man den Schlüssel zu tief hineinsteckte, ließ er sich nicht drehen.
    Aber dann ging die Tür doch auf.
    Ich biss in den stinkenden Teppich.
    Von dort unten sah ich nur ein Stück Fußboden. Ich hörte Schritte, und dann erschienen Jeans und schwarze Cowboystiefel.
    Nihal besaß keine Stiefel. Mein Vater trug Church’s und im Sommer Mokassins. Meine Mutter hatte eine Menge Stiefel, aber keine so hässlichen. Und der Cercopithecus hatte nur alte ausgetretene Turnschuhe. Wer konnte das sein?
    Egal, wer es sein mochte, er würde sehen, dass der Keller bewohnt war. Es war alles da: Bett, Lebensmittel, ein laufender Fernseher.
    Inzwischen drehten die Stiefel eine Runde durch den Keller, als suchten sie etwas. Sie näherten sich meinem Bett und blieben stehen.
    Der Mensch in den Stiefeln holte durch den Mund Luft, als wäre er erkältet. Er hob eine Dose vom Tisch hoch und stellte sie wieder zurück. »Ist da jemand?« Eine weibliche Stimme.
    Ich kaute auf dem Teppich herum. Wenn ich nicht entdeckt werde, sagte ich mir, besuche ich jeden Tag meinen Vetter Vittorio, diesen Clown. Ich schwöre bei Gott, ich werde sein bester Freund.
    »Wer ist da?«
    Ich schloss die Augen und hielt mir mit den Händen die Ohren zu, doch trotzdem hörte ich, wie sie herumlief, Sachen hin und her rückte, etwas suchte.
    »Komm da raus. Ich habe dich

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