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Du und Ich

Du und Ich

Titel: Du und Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niccolò Ammaniti
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einen fetten pechschwarzen Pony, ein Pferdegebiss und eine kakaofarbene Bräune.
    »Was ist passiert?«, fragte meine Mutter zerknirscht.
    Der Typ stieg aus und kauerte sich neben den Rückspiegel. Er sah ihn mit einem gleichermaßen leidenden und würdevollen Ausdruck an, als läge da auf dem Boden nicht ein Stück Plastik und Glas, sondern der Körper seiner niedergemetzelten Mutter. Er berührte den Spiegel nicht einmal, als handelte es sich um eine Leiche, die auf die Spurensicherung wartet.
    »Was ist passiert?«, wiederholte meine Mutter in ruhigem Ton und streckte den Kopf aus dem Fenster.
    Der Typ drehte sich nicht einmal um, sondern antwortete: »Was passiert ist?! Willst du wissen, was passiert ist?« Er hatte eine heisere, tiefe Stimme, als spräche er durch eine Plastikröhre. »Dann steig aus dem Auto aus und sieh es dir an!«
    »Bleib, wo du bist«, sagte meine Mutter zu mir und sah mir in die Augen, öffnete ihren Sicherheitsgurt und stieg aus.
    Durchs Fenster sah ich, wie ihr apricotfarbenes Kostüm Regenflecken bekam.
    Einige Fußgänger mit Regenschirmen blieben stehen, um zuzuschauen. Die Autos um uns herum hupten und versuchten an dem Hindernis vorbeizukommen wie Ameisen an einem Pinienzapfen. In dreißig Metern Entfernung begann jetzt auch ein Bus zu hupen.
    Ich, im Auto, sah die Blicke der Leute auf meiner Mutter. Ich begann zu schwitzen und spürte, wie ich keine Luft mehr bekam.
    »Vielleicht sollten wir Platz machen«, schlug meine Mutter dem Typ vor. »Wegen des Verkehrs …«
    Doch der Typ hörte nicht zu, starrte weiter seinen Spiegel an, als könnte er ihn mit mentaler Kraft wieder an seinem Auto befestigen.
    Meine Mutter trat näher heran und fragte mit einem leichten Schuldgefühl und falscher Anteilnahme: »Wie ist es denn eigentlich passiert?«
    Der Regen hatte sich mit dem Gel vermischt, die Locken des Mannes zum Glänzen gebracht und genau in der Mitte des Kopfes eine beginnende Kahlheit offenbart.
    Da sie keine Antwort erhielt, fügte meine Mutter leiser hinzu: »Ist es schlimm?«
    Der Typ neigte den Kopf zur Seite und realisierte zum ersten Mal, dass die Schuldige an diesem ganzen Horror dort war, neben ihm. Er musterte meine Mutter von oben bis unten, warf dann einen Blick auf unser Auto und grinste.
    Das gleiche fiese Grinsen, das Varaldi und Ricciardelli aufsetzten, wenn sie auf ihren Mopeds saßen und mich beobachteten. Das Grinsen des Räubers, der die Beute ausgemacht hat.
    Ich musste sie warnen.
    Der Lazio-Fan hob den Rückspiegel auf, als handelte es sich um ein Rotkehlchen mit einem gebrochenen Flügel. »Vielleicht wäre es für dich nicht schlimm. Für mich schon. Ich habe das Auto gerade aus der Werkstatt geholt. Weißt du, wie viel dieser Spiegel kostet?«
    Meine Mutter schüttelte den Kopf. »Viel?«
    Ich fuhr mir mit den Händen durchs Haar. Der verstand doch keinen Spaß. Sie musste ihn um Verzeihung bitten. Ihm Geld geben und die Sache zu einem Ende bringen.
    »Ein Viertel von dem, was ein Kellner verdient. Aber was weißt du schon davon. Die Probleme hast du ja bestimmt nicht!«
    Ich musste aufstehen, aus dem Auto aussteigen, sie bei der Hand nehmen und wegbringen, doch ich war einer Ohnmacht nahe.
    Meine Mutter schüttelte fassungslos den Kopf. »Aber Sie sind doch auf mich draufgefahren … Es ist Ihre Schuld.«
    Ich sah, dass der Lazio-Fan leicht schwankte, die Augen öffnete und wieder schloss, als versuchte er, den Schlag wegzustecken, den er gerade erhalten hatte. Seine Nasenlöcher bebten wie bei einem Trüffelhund. »Es ist meine Schuld? Wer? Ich? Ich bin auf dich draufgefahren?« Dann stand er auf, breitete die Arme aus und knurrte: »Was redest du da für einen Scheiß, du Schlampe?«
    Er hatte »Schlampe« zu meiner Mutter gesagt.
    Ich versuchte den Sicherheitsgurt aufzumachen, doch in meinen Händen kribbelte es, als wären sie eingeschlafen.
    Meine Mutter bemühte sich, Haltung zu bewahren. Sie war gleich aus dem Auto ausgestiegen, im Regen, freundlich, bereit, die Schuld auf sich zu nehmen, wenn sie welche gehabt hätte, sie hatte nichts falsch gemacht, und ein Kerl, dem sie noch nie im Leben begegnet war, hatte sie gerade eine Schlampe genannt.
    »Schlampe. Schlampe. Schlampe.« Ich wiederholte es dreimal, kostete die schmerzhafte Verachtung dieses Worts. Keine Freundlichkeit, keine Höflichkeit, kein Respekt, nichts.
    Ich musste ihn töten.
    Doch wo war die Wut geblieben? Der rote Strom, der mich erfüllte, wenn mich jemand herausforderte? Der

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