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Du und Ich

Du und Ich

Titel: Du und Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niccolò Ammaniti
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Mutter sprechen. Olivia hatte mich erwischt. Und ich hatte auch noch ein orange leuchtendes Gesicht.
    Ich sah mich immer wieder im Spiegel an und las noch mal die Anwendungshinweise für das Selbstbräunungsmittel. Da stand nichts darüber, wie lange es dauerte, bis es wieder wegging.
    Ich fand eine alte Flasche Vim und rieb mir das Gesicht damit ein. Dann legte ich mich aufs Bett.
    Sicher war ich mir nur einer Sache, nämlich dass Olivia nichts sagen würde. Sie schien mir keine Petze zu sein.
    Nach zehn Minuten wusch ich mir das Gesicht, doch danach war es noch genauso orange.
    Ich kramte in dem Karton meiner Schwester. Sie hatte alles vollkommen durcheinander reingeworfen. Hauptsächlich waren Kleider und Schuhe drin. Ein altes Notebook. Ein Fotoapparat ohne Objektiv. Ein Buddha aus stinkendem Holz. Mit einer runden und großen Schrift beschriebene Blätter. Meistens waren es Aufstellungen: Erledigungs-, Gäste- und Einkaufslisten. In einer kleinen blauen Mappe fand ich Fotos von Olivia, als sie noch gut aussah. Auf einem lag sie auf einer roten Samtcouch und hatte nur ein Männerhemd an, und man konnte ein Stück von ihrem Busen sehen. Auf einem anderen saß sie auf einem Stuhl und zog sich mit einer Zigarette im Mund die Strümpfe an. Das Foto, das mir am besten gefiel, war von hinten aufgenommen, sie hatte den Kopf zum Objektiv gedreht. In einer Hand hielt sie eine Brust. Und sie hatte endlos lange Beine.
    Ich durfte nicht mal daran denken. Olivia war zu fünfzig Prozent meine Schwester.
    Unter den Fotos war ein kleineres in Schwarz-Weiß. Mein Vater, mit langen Haaren, Jeans und Lederjacke, saß auf dem Poller einer Mole mit einem Mädchen, wahrscheinlich Olivia, die auf seinen Knien ein Eis aß.
    Ich musste lachen. Ich hätte nie gedacht, dass mein Vater sich, als er jung war, so furchtbar anzog. Ich kannte ihn nur mit grau melierten, kurzen Haaren, im grauen Anzug mit Krawatte und in Schuhen mit Lochmuster. Doch da, mit dieser Frisur wie ein Tennisspieler von früher, schien er glücklich.
    Da war auch ein Brief, den Olivia an Papa geschrieben hatte.
    Lieber Papa,
    ich schreibe dir, um dir für das Geld zu danken. Jedes Mal, wenn du mir mit deinem Geld aus der Patsche hilfst, frage ich mich: Und wenn es auf der Welt kein Geld gäbe, wie würde dein Vater dir dann helfen? Und dann frage ich mich, ob es die Schuldgefühle sind oder die Liebe, die du für mich empfindest, was dich dazu treibt. Und weißt du was? Ich will es nicht wissen. Ich habe Glück, einen Vater wie dich zu haben, der mich meine Erfahrungen machen lässt und mir hilft, wenn ich etwas falsch mache, also praktisch immer. Aber jetzt ist es genug, ich will nicht mehr, dass du mir hilfst.
    Du hast mich nie gemocht, du kannst mich einfach nicht leiden. Wenn du mit mir zusammen bist, dann bist du immer sehr ernst. Vielleicht weil ich der lebende Beweis eines totalen Irrtums bin und dir jedes Mal, wenn du an mich denkst, wieder einfällt, was für eine Dummheit es war, meine Mutter zu heiraten. Aber daran habe ich keine Schuld. Da bin ich mir vollkommen sicher. Was den ganzen Rest angeht, nicht. Wer weiß, wenn ich mich mehr um dich bemüht hätte, wenn ich versucht hätte, die trennende Mauer zwischen uns einzureißen, vielleicht wäre es dann anders geworden.
    Mir kam der Gedanke, dass ich, wenn ich ein Buch über mein Leben schreiben sollte, das Kapitel über dich Hasstagebuch nennen würde. Irgendwie muss ich lernen, dich nicht zu hassen. Ich muss lernen, dich nicht zu hassen, wenn dein Geld kommt und wenn du mich anrufst, um zu fragen, wie es mir geht. Ich habe dich zu sehr gehasst, ohne mich zu schonen. Ich habe es satt, das zu tun.
    Also danke ich dir noch einmal, doch wenn du in Zukunft den Impuls verspürst, mir helfen zu wollen, dann verdräng ihn. Du bist ja der Meister der Verdrängung und des Schweigens.
    Deine Tochter
Olivia
    Ich las den Brief wenigstens dreimal. Ich glaubte nicht, dass Olivia Papa so hasste. Ich wusste, dass sie sich nicht verstanden, aber er war doch immer noch ihr Vater. Was sollte der Mist! Sicher, wenn man Papa nicht kannte, konnte man leicht meinen, er wäre nicht nett. Einer von denen, die immer ernst sind und, wie es scheint, ganz allein die Welt regieren müssen. Aber wenn man ihn im Sommer am Meer oder im Winter beim Skifahren erlebte, war er sehr lieb und sympathisch. Und außerdem war es Olivia, die ihn nicht sehen wollte, die immer aggressiv war und sich mit der Zahnärztin gegen ihn verbündet hatte.

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