Du wirst schon noch sehen wozu es gut ist
wollte er mich nie wieder sehen, und wahrscheinlich hasste er mich. Mir wurde klar, dass es sehr schwer ist, Menschen zu mögen, ganz zu schweigen davon, sie zu lieben - es bringt einen nur dazu, lauter falsche, verletzende Dinge zu tun.«John war mein Freund», sagte ich.
«Nun, vielleicht war er das», sagte meine Mutter,«aber ich glaube nicht, dass er es noch ist.»
Sie sagte das auf eine zufriedene, selbstgefällige Weise, die mich wirklich ärgerte. Als hätte ich es verdient, geächtet und verlacht zu werden, bloß weil ich in meinem Bemühen, jemandem nahezukommen, eine Dummheit begangen hatte. Es machte mich wütend, dass meine eigene Mutter mein Unglück begrüßte. Ich wusste, sie dachte, das wäre wahrscheinlich gut für mich, eine lehrreiche Erfahrung, sozusagen. Das Problem ist nur, dass ich aus lehrreichen Erfahrungen nie etwas lerne. Genau genommen strenge ich mich sogar besonders an, gerade das nicht zu lernen, was immer die lehrreiche Erfahrung mir beibringen soll, denn ich kann mir nichts Trostloseres vorstellen, als jemand zu sein, dessen Charakter durch lehrreiche Erfahrungen geformt wurde.
«James», sagte meine Mutter,«ich wollte sowieso mit dir über etwas ganz Bestimmtes sprechen, und ich wusste nicht so recht, wie, aber nach der Sache, die gestern Abend geschehen ist …»
«Was?», fragte ich.
«Na ja, ich habe mich nur gefragt, ob du vielleicht … Bist du schwul?»
«Wieso fragen mich eigentlich alle, ob ich schwul bin?»
«Wer hat dich denn noch gefragt?»
«Dad.»
«Oh», sagte sie.«Und, was hast du ihm geantwortet?»
«Wieso willst du wissen, was ich ihm geantwortet habe?»
«Ich weiß auch nicht», sagte meine Mutter.«Ich denke, das war nur eine andere Art, die Frage zu stellen.»
«Wieso fragst du mich das? Hast du Gillian gefragt?»
«Nein», sagte meine Mutter.
«Wieso nicht?»
«Weil ich nicht dachte, dass Gillian lesbisch ist.»
«Du denkst also, ich bin schwul?»
«Ich weiß nicht - doch: Der Gedanke ist mir in den Sinn gekommen.»
«Aber wieso willst du es wissen?»
«Wieso ich es wissen will? James, du bist mein Sohn. Du bedeutest mir etwas. Ich möchte dir helfen.»
«Du glaubst also, Homosexuelle brauchen Hilfe?»
« James. Ach, James! Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich weiß nicht, wie ich dir helfen soll. Ich mache mir solche Sorgen um dich, und ich möchte dir helfen, aber ich weiß einfach nicht, wie.»
Ich sagte kein Wort. Meine Mutter fing an zu weinen.
Ich wusste, dass sie mir helfen wollte. Ich wusste, sie war meine Mutter, und sie liebte mich, und ich wollte gar nicht gemein sein, jedenfalls glaubte ich, dass ich nicht gemein sein wollte, aber da war noch etwas anderes in mir, etwas Hartes, Eigensinniges, und das war gemein. Es ärgerte mich einfach, dass sie dachte, sie könnte mir helfen, wenn ich schwul wäre, als könnte sie es mit einem Heftpflaster wiedergutmachen oder so. Und überhaupt ist es heutzutage total cool, schwul zu sein, warum also sollte ich Hilfe brauchen? Und welche Hilfe konnte mir ausgerechnet meine Mutter sein, deren dritte Ehe gerade einmal ein paar Tage gehalten hatte? Ich wusste, dass ich schwul war, aber ich hatte noch nie etwas Schwules gemacht, und ich wusste nicht, ob ich das je tun würde. Ich konnte es mir nicht vorstellen, ich konnte mir nicht vorstellen, irgendwelche intimen, sexuellen Dinge mit einem anderen Menschen zu tun, ich konnte ja kaum mit anderen Menschen sprechen, wie sollte ich dann Sex mit ihnen haben? Ich war also nur ein theoretischer, ein potenzieller Homosexueller.
Wir hörten die Glocke, die anzeigte, dass jemand in die Galerie gekommen war.«Ich denke, wir sollten noch weiter darüber reden», sagte meine Mutter.«Das können wir zu Hause machen. Und ich denke, du solltest ein Gespräch mit deinem Vater führen. Jetzt kannst du wieder an die Arbeit gehen, da ist jemand in die Galerie gekommen.»
«Wie bitte?», fragte ich. Ich konnte es einfach nicht glauben, dass meine Mutter mich in ihr Büro zitieren und feuern und dabei andeuten konnte, dass ich ein zwischenmenschlich zurückgebliebener Versager war und den sexuellen Normen nicht entsprach, um mich dann unvermittelt wieder an die Arbeit zu schicken. Das widersprach so ziemlich allen meinen Vorstellungen davon, wer sie war und was sie für mich empfand. Und dann wurde mir klar, dass ich es nicht ertragen könnte, wenn sie das, was sie gerade gesagt hatte, wiederholen würde, und so stand ich auf und ging aus dem Büro, bevor
Weitere Kostenlose Bücher