Dubliner (German Edition)
Er sagte, dass sie das Geld verschleudere, dass sie nichts im Kopf habe, dass er nicht daran denke, ihr sein sauer verdientes Geld zu geben, damit sie es auf die Straßen werfen könnte, und vieles mehr, denn am Samstagabend stand es meistens besonders schlimm mit ihm. Am Ende gab er ihr gewöhnlich das Geld und fragte, ob sie denn nicht die Absicht habe, das Sonntagsessen einzukaufen. Dann musste sie loseilen, so schnell sie konnte, um ihre Einkäufe zu erledigen, die schwarze Lederbörse fest in einer Hand, während sie sich mit den Ellbogen ihren Weg durch die Menge bahnte, und erst spät kam sie beladen mit Vorräten nach Hause. Sie musste hart arbeiten, um den Haushalt zusammenzuhalten und dafür zu sorgen, dass die beiden jüngsten Kinder, die ihr anvertraut waren, regelmäßig zur Schule gingen und regelmäßig ihre Mahlzeitenbekamen. Es war harte Arbeit – ein hartes Leben –, doch jetzt, wo sie dabei war, es aufzugeben, stellte es für sie nicht ein gänzlich unerträgliches Leben dar.
Sie war dabei, mit Frank ein anderes Leben zu erkunden. Frank war sehr freundlich, männlich, aufrichtig. Sie sollte mit ihm fortfahren auf dem Nachtschiff, um seine Frau zu werden und mit ihm in Buenos Aires leben, wo er ein Zuhause hatte, das auf sie wartete. Wie gut sie sich daran erinnerte, als sie ihm zum ersten Mal begegnet war; er logierte in einem Haus an der Hauptstraße, wo sie regelmäßig Besuche machte. Es schien erst wenige Wochen her. Er hatte am Tor gestanden, die Schirmmütze in den Nacken geschoben, und sein Haar fiel ihm nach vorn über das bronzefarbene Gesicht. Dann hatten sie einander kennengelernt. Er hatte sie jeden Abend vor dem Warenhaus abgeholt und nach Hause begleitet. Er war mit ihr in Die Zigeunerin * gegangen, und sie hatte sich stolz und glücklich gefühlt, als sie in einem für sie ungewohnten Teil des Theaters neben ihm saß. Er liebte Musik sehr und sang ein wenig. Die Leute wussten, dass sie miteinander gingen, und wenn er von dem Mädchen, das einen Matrosen liebt * , sang, fühlte sie sich jedes Mal wohlig verwirrt. Aus Spaß hatte er sie immer Püppi genannt. Zuerst war es für sie sehr aufregend gewesen, einen Verehrer zu haben, aber dann hatte sie angefangen, ihn zu mögen. Er wartete mit Geschichten aus fernen Ländern auf. Er hatte als Schiffsjunge für ein Pfund im Monat auf einem Schiff der Allan-Linie * angefangen, das nach Kanada unterwegs war. Er sagte ihr die Namen aller Schiffe, auf denen er gewesen war, und auch die Namen der verschiedenen Reedereien. Er war durch die Magellan-Straße gefahren, und er erzählte ihr Geschichten von den schrecklichen Patagoniern. Er sei in Buenos Aires auf die Füße gefallen, sagte er, und sei nur auf Urlaub in seine alte Heimat herübergekommen. Natürlichhatte ihr Vater die Liebschaft entdeckt und hatte ihr den Umgang mit ihm verboten.
– Ich kenn diese Matrosenkerle, sagte er.
Eines Tages hatte er sich mit Frank gestritten, und daraufhin musste sie ihren Geliebten heimlich treffen.
Der Abend fiel tiefer in die Straße ein. Das Weiß von zwei Briefen auf ihrem Schoß wurde verschwommen. Der eine war an Harry; der andere an ihren Vater. Ernest war ihr Lieblingsbruder gewesen, doch sie mochte auch Harry. Ihr Vater war in letzter Zeit alt geworden, stellte sie fest; er würde sie vermissen. Manchmal konnte er sehr nett sein. Unlängst, als sie einmal einen Tag lang das Bett hüten musste, hatte er ihr eine Gespenstergeschichte vorgelesen und Toast für sie am Feuer gemacht. Ein anderes Mal, als ihre Mutter noch lebte, waren sie alle zu einem Picknick auf den Hill of Howth * gegangen. Sie erinnerte sich, wie ihr Vater sich die Haube ihrer Mutter aufgesetzt hatte, um die Kinder zum Lachen zu bringen.
Ihre Zeit begann abzulaufen, doch sie blieb am Fenster sitzen, den Kopf an die Gardine des Fensters gelehnt, und atmete den Geruch der staubigen Cretonne ein. Unten weit entfernt in der Straße hörte sie eine Drehorgel spielen. Sie kannte die Melodie. Seltsam, dass sie gerade in dieser Nacht gespielt wurde und sie an das Versprechen erinnerte, das sie ihrer Mutter gegeben hatte, das Versprechen, das Zuhause so lange, wie es ihr möglich war, zusammenzuhalten. Sie erinnerte sich an die letzte Nacht der Krankheit ihrer Mutter; sie war wieder in dem engen, dunklen Zimmer am anderen Ende der Diele, und draußen hörte sie eine melancholische Weise aus Italien. Der Drehorgelmann war aufgefordert worden zu verschwinden und hatte ein
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