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Dubliner (German Edition)

Dubliner (German Edition)

Titel: Dubliner (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Joyce
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Luft hin und her und ließ sie dann auf eine der Untertassen sinken. Sie fühlte eine weiche, feuchte Masse und wunderte sich, dass niemand etwas sagte oder ihr die Binde abnahm. Ein paar Sekunden herrschte Schweigen, und dann gab es heftiges Füßescharren und Geflüster. Jemand sagte etwas vom Garten, und schließlich sagte Mrs Donnelly sehr ärgerlich etwas zu einem der Mädchen von nebenan und befahl ihm, sie solle das augenblicklich hinauswerfen: Das sei kein Spiel mehr. Maria begriff, dass etwas schiefgegangen war, und so musste sie es wiederholen: Und diesmal bekam sie das Gebetbuch.
    Danach spielte Mrs Donnelly auf dem Klavier für die Kinder Miss McCloud’s Reel * , und Joe überredete Maria zu einem Glas Wein. Bald waren alle wieder vergnügt, und Mrs Donnelly behauptete, noch ehe das Jahr um sei, werde Maria in ein Kloster eintreten, denn sie habe ja das Gesangbuch bekommen. Noch nie hatte Maria erlebt, dass Joe so nett zu ihr war wie an diesem Abend, so voller freundlicher Worte und Erinnerungen. Sie sagte, wie gut sie doch alle zu ihr seien.
    Schließlich wurden die Kinder müde und schläfrig, und Joe fragte Maria, ob sie ihnen nicht noch ein Liedchen vorsingen wolle, bevor sie gehe, eins von den alten Liedern. Mrs Donnelly sagte Ja, bitte, Maria! und so musste Maria aufstehen und sich neben das Klavier stellen. Mrs Donnelly bat die Kinder, still zu sein und Marias Gesang zuzuhören. Dann spielte sie ein paar Takte und sagte Jetzt, Maria! und Maria, die heftig errötete, begann mit schwacher, zitternderStimme zu singen. Sie sang Mir träumte, ich wohnte * , und als sie zur zweiten Strophe kam, sang sie noch einmal:
    Mir träumte, ich wohnte in marmornen Hallen,
    Umgeben von dienstbaren Scharen,
    Und der Stolz war ich und die Hoffnung von allen,
    Die in diesem Palast um mich waren.
    Die Zahl meiner Schätze ermaß ich kaum,
    Und ich war von vornehmem Stand,
    Doch einzig beglückend an diesem Traum
    War die Liebe, die uns verband.
    Aber niemand versuchte, sie auf ihren Irrtum aufmerksam zu machen; und als sie ihr Lied beendet hatte, war Joe sehr gerührt. Er sagte, es gehe doch nichts über die gute alte Zeit, und die schönste Musik sei für ihn die vom guten alten Balfe, was die Leute auch sagen mochten; und seine Augen waren so voller Tränen, dass er nicht finden konnte, was er suchte, und am Ende musste er seine Frau bitten, ihm zu sagen, wo der Korkenzieher war.

E IN TRAURIGER F ALL
    Mr James Duffy * wohnte in Chapelizod * , weil er möglichst weit weg von der Stadt leben wollte, deren Bürger er war, und weil er alle anderen Vororte Dublins schäbig, neumodisch und protzig fand. Er wohnte in einem düsteren alten Haus; von seinen Fenstern aus konnte er in die stillgelegte Brennerei sehen oder den seichten Fluss entlang, an dem Dublin erbaut ist. Die hohen Wände seines Zimmers waren ohne Bilder, auf dem Boden lag kein Teppich. Er hatte jedes einzelne Möbelstück in diesem Zimmer selbst angeschafft: ein schwarzes Eisenbett, einen eisernen Waschtisch, vier Rohrstühle, einen Kleiderständer, einen Kohleneimer, ein Kamingitter samt Feuerhaken und einen quadratischen Tisch, auf dem ein aufklappbares Schreibpult stand.
    Ein aus weißem Holz gefertigtes Bücherregal stand in einem Alkoven. Das Bett war weiß bezogen, am Fußende lag eine schwarz-rote Decke. Über dem Waschtisch hing ein kleiner Handspiegel, und tagsüber stand auf dem Kaminsims als einzige Zierde eine Lampe mit weißem Schirm. Die Bücher auf den hellen Brettern waren von unten nach oben der Größe nach geordnet. Am einen Ende ganz unten standen die gesammelten Werke von Wordsworth, und auf dem obersten Brett ganz außen stand eine Ausgabe des Maynooth-Katechismus * , eingenäht in den Stoffbezug eines Notizbuchs. Auf dem Pult lag stets Schreibzeug. In dem Pult lag das Manuskript einer Übersetzung von Hauptmanns Michael Kramer mit Regieanweisungen in roter Tintesowie einige Blätter Papier, die von einer Messingklammer zusammengehalten wurden. Auf diesen Blättern wurde von Zeit zu Zeit ein Satz notiert, und in einer Anwandlung von Ironie war auf das oberste Blatt die Überschrift einer Anzeige für Gallenpastillen geklebt worden. Beim Anheben des Deckels entströmte dem Pult ein schwacher Duft, der Duft neuer Zedernholzbleistifte oder einer Flasche Gummiarabikum oder eines überreifen Apfels, der möglicherweise dort liegen geblieben und vergessen worden war.
    Mr Duffy verabscheute alles, was auf äußere oder innere Unordnung

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