Dubliner (German Edition)
auszutauschen. Im Verlauf des Abends erfuhr Mrs Kearney, dass das Konzert am Freitag abgesagt werden solle und dass das Komitee Himmel und Erde in Bewegung setzen wolle, um am Samstagabend ein volles Haus zu bekommen. Als sie dies hörte, suchte sie nach Mr Holohan. Sie erwischte ihn, als er gerade eilig mit einem Glas Limonade für eine junge Dame hinaushumpeln wollte, und fragte ihn, ob das stimme. Ja, das stimme.
– Aber das ändert natürlich nichts an dem Vertrag, sagte sie. Der Vertrag war für vier Konzerte.
Mr Holohan schien es eilig zu haben; er riet ihr, mit Mr Fitzpatrick zu reden. Nun fing Mrs Kearney an, unruhig zu werden. Sie holte Mr Fitzpatrick vom Wandschirm weg und erklärte ihm, ihre Tochter habe einen Vertrag für vier Konzerte unterschrieben, und gemäß den Vertragsbestimmungen müsse sie selbstverständlich die ursprünglich vereinbarte Gage erhalten, ganz gleich, ob die Gesellschaft diese vier Konzerte gebe oder nicht. Es dauerte etwas, bis Mr Fitzpatrick begriff, worum es ging, und er schien nicht in der Lage, das Problem zu lösen, sondern erklärte, er werde die Angelegenheit dem Komitee vorlegen. Mrs Kearneys Zorn ließ ihre Wangen zittern, und sie musste an sich halten, um nicht zu fragen:
– Und wer, bitte schön, ist dieses Kumidee , wie Sie es nennen?
Aber sie wusste, dass sich das für eine Dame nicht schickte, und darum schwieg sie.
Am Freitag in aller Frühe wurden kleine Jungen mit Bündeln von Handzetteln in alle großen Straßen Dublins geschickt. In sämtlichen Abendzeitungen erschienen besondere Anzeigen, in denen alle Musikliebhaber darauf hingewiesen wurden, welcher Genuss sie am folgenden Abend erwartete. Mrs Kearney war ein wenig beruhigt, aber sie hielt es doch für angebracht, ihrem Mann von einigen ihrer Befürchtungen zu berichten. Er hörte aufmerksam zu und sagte dann, es sei vielleicht besser, wenn er sie am Samstagabend begleitete. Sie stimmte ihm zu. Sie hatte Achtung vor ihm, so wie sie Achtung vor dem Hauptpostamt hatte; als etwas Großem, Sicherem und Unverrückbarem; und während sie sich über die geringe Zahl seiner Talente im Klaren war, wusste sie seinen abstrakten Wert als männliches Wesen zu schätzen. Sie war froh, dass er angeboten hatte, mit ihr zu kommen. Sie überdachte ihre Pläne.
Der Abend des großen Konzerts kam. Mrs Kearney traf mit Mann und Tochter eine dreiviertel Stunde vor Konzertbeginn in den Antient Concert Rooms ein. Das Unglück wollte es, dass es an diesem Abend regnete. Mrs Kearney ließ das Kleid und die Notenblätter ihrer Tochter in der Obhut ihres Mannes und machte sich im ganzen Haus auf die Suche nach Mr Holohan oder Mr Fitzpatrick. Sie fand weder den einen noch den anderen. Sie erkundigte sich bei den Platzanweisern, ob ein Mitglied des Komitees im Saal sei, und nach langem Hin und Her brachte einer von den Männern eine kleine Frau namens Miss Beirne herbei, der Mrs Kearney erklärte, dass sie mit einem der Vorsitzenden sprechen wolle. Miss Beirne rechnete jeden Augenblick mit ihnen und fragte, ob sie etwas tun könne. Mrs Kearney blickte prüfend in das ältliche Gesicht, in dessen Zügen sich ein Ausdruck von Gutgläubigkeit und Begeisterung festgesetzt hatte, und erwiderte:
– Nein, danke!
Die kleine Frau hoffte, der Saal werde voll werden. Sie sah hinaus in den Regen, bis der traurige Anblick der nassen Straße alle Gutgläubigkeit und alle Begeisterung aus ihren faltigen Zügen gelöscht hatte. Dann seufzte sie leise und sagte:
– Na ja, wir haben weiß Gott getan, was wir konnten.
Mrs Kearney musste zurück in die Garderobe gehen.
Die Künstler trafen jetzt ein. Der Bass und der zweite Tenor waren schon da. Der Bass, Mr Duggan, war ein schlanker junger Mann mit einem schütteren schwarzen Schnurrbart. Er war der Sohn eines Portiers in einem Bürohaus in der Innenstadt, und als Junge hatte er im Vestibül, das eine gute Akustik besaß, lang gezogene Basstöne geübt. Von diesen bescheidenen Anfängen hatte er sich nach oben gearbeitet, und jetzt war er ein erstklassiger Sänger. Er war schon in großen Opern aufgetreten. Eines Abends, als einer der Opernsänger erkrankt war, hatte er die Partie des Königs in der Oper Maritana * im Queen’s Theatre * übernommen. Er sang seine Stücke mit großem Gefühl und Stimmvolumen und wurde von der Galerie freundlich begrüßt. Leider schmälerte er den guten Eindruck dadurch, dass er sich ein paarmal gedankenlos mit der behandschuhten Hand seine Nase wischte. Er
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