Dubliner (German Edition)
besaß Fingerspitzengefühl. Sie wusste, welche Künstler groß gedruckt werden mussten und welche kleiner. Sie wusste, dass der erste Tenor nicht gerne nach der humoristischen Einlage von Mr Meade auftreten würde. Um die Leute bei Laune zu halten, schob sie die zweifelhafteren Stücke zwischen die alten Publikumslieblinge. Mr Holohan kam täglich vorbei, um sich in irgendeiner Sache ihrenRat zu holen. Immer war sie freundlich und hilfsbereit – geradezu fürsorglich. Sie schob ihm die Karaffe hin und sagte:
– Bedienen Sie sich, Mr Holohan!
Und während er sich bediente, sagte sie:
– Nur nicht schüchtern! Nicht so schüchtern!
Alles ging glatt voran. Mrs Kearney kaufte bei Brown Thomas’s * entzückende zartrosa Charmeuse für einen Einsatz vorne in Kathleens Kleid. Das kostete einen Batzen Geld, aber es gibt Anlässe, da lässt sich eine solche Ausgabe rechtfertigen. Sie kaufte ein Dutzend Eintrittskarten zu zwei Shilling für das Abschlusskonzert und verschickte sie an Bekannte, die sonst nicht zuverlässig gekommen wären. Sie dachte einfach an alles, und was zu tun war, wurde dank ihrer Hilfe getan.
Die Konzerte sollten am Mittwoch, Donnerstag, Freitag und Samstag stattfinden. Als Mrs Kearney mit ihrer Tochter am Mittwochabend in den Antient Concert Rooms eintraf, gefiel ihr das, was sie da sah, gar nicht. Einige junge Männer mit leuchtend blauen Abzeichen an ihren Röcken standen untätig im Vestibül herum; keiner von ihnen trug einen Abendanzug. Sie ging mit ihrer Tochter an ihnen vorbei, und als sie einen kurzen Blick durch die geöffnete Tür in den Saal warf, entdeckte sie den Grund für die Untätigkeit der Platzanweiser. Sie dachte schon, sie hätte sich in der Zeit geirrt. Aber nein, es war zwanzig vor acht.
In der Garderobe hinter der Bühne wurde sie dem Vorsitzenden der Gesellschaft, Mr Fitzpatrick, vorgestellt. Sie lächelte und gab ihm die Hand. Er war ein kleiner Mann mit einem weißen, ausdruckslosen Gesicht. Ihr fiel auf, dass sein weicher brauner Hut salopp auf einem Ohr saß und dass er eine breite Aussprache hatte. In der Hand hielt er einen Programmzettel, und während er mit ihr sprach, zerkaute er eine Ecke davon zu einem feuchten Brei. Enttäuschungennahm er offenbar auf die leichte Schulter. Alle paar Minuten kam Mr Holohan mit Nachrichten von der Kasse in die Garderobe. Die Künstler * unterhielten sich nervös, warfen hin und wieder einen Blick in den Spiegel und rollten ihre Notenblätter zusammen und dann wieder auseinander. Als es schon fast halb neun war, fingen die wenigen Menschen im Publikum an, ihrem Wunsch Ausdruck zu verleihen, man möge ihnen etwas bieten. Mr Fitzpatrick kam herein, lächelte ausdruckslos in den Saal und sagte:
– So, meine Damen und Herren, dann wollen wir mal.
Mrs Kearney quittierte diese mit breitem Akzent gesprochenen Worte mit einem kurzen, verächtlichen Blick und sagte dann aufmunternd zu ihrer Tochter:
– Bist du so weit, Kind?
Als sich eine Gelegenheit bot, nahm sie Mr Holohan zur Seite und bat ihn, ihr zu erklären, was das zu bedeuten habe. Mr Holohan wusste nicht, was das zu bedeuten hatte. Er meinte, das Komitee habe einen Fehler gemacht, als es vier Konzerte ansetzte: Vier seien zu viel.
– Und diese Sänger!, sagte Mrs Kearney. Sie geben natürlich ihr Bestes, aber sie sind wirklich nicht gut.
Mr Holohan gab zu, dass die Sänger nicht gut waren, aber das Komitee, sagte er, habe beschlossen, für die ersten drei Konzerte zu nehmen, was sich anbot, und sich die wirklichen Talente für den Samstagabend aufzuheben. Mrs Kearney sagte dazu nichts, aber als eine mittelmäßige Darbietung der anderen folgte und das kleine Publikum dahinschwand, begann es sie zu reuen, dass sie sich für ein solches Konzert in Unkosten gestürzt hatte. Irgendetwas gefiel ihr nicht an dieser Sache, und Mr Fitzpatricks ausdrucksloses Lächeln störte sie sehr. Sie sagte jedoch nichts und wartete ab, wie das Ganze ausgehen würde. Kurz vor zehn fand das Konzert ein Ende, und alle gingen eilig nach Hause.
Das Konzert am Donnerstagabend war besser besucht,aber Mrs Kearney sah sofort, dass der Saal voll war von Leuten mit Freikarten. Das Publikum benahm sich ungebührlich, als handelte es sich nur um eine zwanglose Probe. Mr Fitzpatrick schien guter Dinge zu sein; er merkte gar nicht, dass sein Verhalten Mrs Kearney missfiel. Er stand am Wandschirm und streckte manchmal den Kopf vor, um mit zwei Freunden, die seitlich auf dem Balkon saßen, Scherze
Weitere Kostenlose Bücher