Dubliner (German Edition)
war bescheiden und sprach wenig. Wenn er mal ein Dialektwort gebrauchte, dann so leise, dass man es nicht bemerkte, und seiner Stimme zuliebe trank er nie etwas Stärkeres als Milch. Mr Bell, der zweite Tenor, war ein blonder kleiner Mann, der alljährlich am Preissingen des Feis Ceoil * teilnahm. Bei seinem vierten Wettbewerb hatte er eine Bronzemedaille gewonnen. Er war äußerst nervös und äußerst eifersüchtig auf andere Tenöre, und er überdeckte seine nervöse Eifersucht durch überschwängliche Freundlichkeit. Er hatte die Angewohnheit, aller Welt zu erzählen, wie sehr er bei einem Konzert litt. Als er Mr Duggan entdeckte, ging er daher zu ihm hin und fragte:
– Stecken Sie hier mit drin?
– Ja, sagte Mr Duggan.
Mr Bell streckte seinem Leidensgefährten lachend die Hand hin und sagte:
– Schlagen Sie ein!
Mrs Kearney ging an diesen beiden jungen Männern vorbei hinter die Seitenkulisse, um einen Blick in den Saal zu werfen. Die Plätze füllten sich jetzt schnell, und aus dem Publikum erhob sich ein freundliches Raunen. Sie kehrte zurück und unterhielt sich leise mit ihrem Mann. Das Gespräch drehte sich offensichtlich um Kathleen, denn beide sahen öfter zu ihr hinüber, während diese sich mit einer ihrer nationalistischen Freundinnen, Miss Healy, der Altistin, unterhielt. Eine unbekannte Frau mit bleichem Gesicht ging durch den Raum. Die Frauen folgten mit scharfem Blick dem ausgeblichenen blauen Kleid, das sich um einen mageren Körper spannte. Irgendjemand sagte, sie sei Madam Glynn, die Sopranistin.
– Ich möchte wissen, wo sie die ausgegraben haben, sagte Kathleen zu Miss Healy. Ich habe jedenfalls noch nie von ihr gehört.
Miss Healy musste lächeln. In diesem Augenblick kam Mr Holohan in die Garderobe gehumpelt, und die beiden jungen Frauen fragten ihn, wer die Unbekannte sei. Mr Holohan sagte, sie sei Madam Glynn aus London. Madam Glynn nahm in einer Ecke des Saales Aufstellung. Ihre zusammengerollten Notenblätter hielt sie steif vor sich, und von Zeit zu Zeit änderte sie die Richtung ihres erschrockenen Blickes. Der Schatten nahm ihr ausgeblichenes Kleid in Schutz, fiel aber mitleidlos in die kleine Vertiefung hinter ihrem Schlüsselbein. Der Lärm im Saal nahm zu. Der erste Tenor und der Bariton trafen gleichzeitig ein. Beide waren gut gekleidet, untersetzt und selbstgefällig, und sie brachten etwas Glanz in die kleine Schar von Solisten.
Mrs Kearney führte ihre Tochter hinüber zu ihnen und fing ein liebenswürdiges Gespräch an. Sie wollte sich gut mit ihnen stellen, aber während sie sich bemühte, die äußere Form zu wahren, folgte ihr Blick dem humpelnden Mr Holohan auf seinen verschlungenen Wegen. Sobald sich eine Gelegenheit bot, entschuldigte sie sich und ging ihm nach.
– Mr Holohan, ich möchte Sie kurz sprechen, sagte sie.
Sie gingen an das ruhigere Ende des Korridors. Mrs Kearney fragte ihn, wann ihre Tochter denn ihr Geld bekommen solle. Mr Holohan erklärte, dafür sei Mr Fitzpatrick zuständig. Mrs Kearney sagte, Mr Fitzpatrick interessiere sie nicht. Ihre Tochter habe einen Vertrag über acht Guineen unterschrieben, und die müssten ihr gezahlt werden. Mr Holohan sagte, das gehe ihn nichts an.
– Wieso geht Sie das nichts an? Sie waren es doch, der ihr den Vertrag gebracht hat. Und auch wenn es Sie nichts angeht, dann geht es jedenfalls mich etwas an, und ich bestehe auf der Abmachung.
– Da müssen Sie mit Mr Fitzpatrick reden, sagte Mr Holohan kühl.
– Mr Fitzpatrick interessiert mich nicht, wiederholte Mrs Kearney. Ich habe meinen Vertrag, und ich habe vor, dafür zu sorgen, dass er eingehalten wird.
Als sie in die Garderobe zurückkam, waren ihre Wangen leicht gerötet. In dem Raum ging es lebhaft zu. Zwei Männer in Straßenanzügen hatten sich am Kamin aufgebaut und unterhielten sich ungezwungen mit Miss Healy und dem Bariton. Es handelte sich um den Reporter vom Freeman und Mr O’Madden Burke. Der Mann vom Freeman war vorbeigekommen, um zu sagen, dass er nicht zum Konzert bleiben könne, da er über einen Vortrag berichten müsse, den ein amerikanischer Priester im Mansion House * halten werde. Er sagte, sie sollten den Bericht für ihn im Büro des Freeman abgeben, und er werde dafür sorgen, dass er gedruckt werde. Er war ein grauhaariger Mann mit einer vertrauenserweckenden Stimme und einer bedächtigen Art. Er hielt eine erloschene Zigarre in der Hand, und er war umgeben von Zigarrenduft. Er hatte keine Minute bleiben wollen, denn er
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