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Dubliner (German Edition)

Dubliner (German Edition)

Titel: Dubliner (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Joyce
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an der Tür, ihr Gesicht wutverzerrt, und redete heftig gestikulierend auf Mann und Tochter ein. Sie wartete den Beginn des zweiten Teils ab in der Hoffnung, dass die Vorsitzenden auf sie zukommen würden. Aber Miss Healy hatte sich freundlicherweise bereit erklärt, die Klavierbegleitung von ein oder zwei Stücken zu übernehmen. Mrs Kearney musste beiseitetreten, um den Bariton und seine Begleitung auf ihrem Weg auf die Bühne durchzulassen. Sie stand kurze Zeit reglos da wie ein zorniges Standbild, und als die ersten Töne des Liedes an ihr Ohr schlugen, nahm sie den Umhang ihrer Tochter an sich und sagte zu ihrem Mann:
    – Besorg uns eine Droschke!
    Er ging sofort hinaus. Mrs Kearney legte ihrer Tochter den Umhang um die Schultern und folgte ihm. Als sie zur Tür kam, blieb sie stehen und sah Mr Holohan mit blitzenden Augen an.
    – Mit Ihnen bin ich noch lange nicht fertig, sagte sie.
    – Aber ich bin mit Ihnen fertig, sagte Mr Holohan.
    Kathleen folgte kleinlaut ihrer Mutter. Mr Holohan fing an, im Raum hin und her zu gehen, um sich abzukühlen, denn sein Gesicht brannte wie Feuer.
    – Das ist ja eine feine Dame!, sagte er. Wirklich eine feine Dame!
    – Du hast genau das Richtige getan, Holohan, sagte, auf seinen Schirm gestützt, Mr O’Madden Burke anerkennend.

G NADE
    Zwei Herren, die sich zu diesem Zeitpunkt in der Toilette befanden, versuchten ihn aufzurichten, aber er war völlig hilflos. Er lag zusammengekrümmt am Fuß der Treppe, die er hinuntergefallen war. Es gelang ihnen, ihn umzudrehen. Sein Hut war mehrere Meter weit gerollt, und seine Kleidung war verschmiert von dem glitschigen Schmutz am Boden, auf dem er mit dem Gesicht nach unten gelegen hatte. Seine Augen waren geschlossen und er atmete mit einem grunzenden Geräusch. Aus seinem Mundwinkel sickerte ein wenig Blut.
    Diese beiden Herren und einer der Kellner trugen ihn nach oben und legten ihn dann auf den Boden der Kneipe. Innerhalb von zwei Minuten war er von Männern umringt. Der Gastwirt erkundigte sich bei jedem, wer der Mann sei und mit wem er gekommen sei. Niemand wusste, wer er war, aber einer der Kellner sagte, er habe dem Herrn ein kleines Glas Rum serviert.
    – War er allein?, fragte der Wirt.
    – Nein, Sir. Da waren zwei Herren bei ihm.
    – Und wo sind die?
    Niemand wusste es. Eine Stimme rief:
    – Er braucht frische Luft. Er ist ohnmächtig.
    Der Ring der Umstehenden weitete sich und zog sich elastisch wieder zusammen. Beim Kopf des Mannes hatte sich auf dem Mosaikfußboden ein dunkles Medaillon aus Blut gebildet. Der Wirt, beunruhigt über die blassgraueGesichtsfarbe des Mannes, schickte nach einem Polizisten.
    Man öffnete seinen Kragen und lockerte die Krawatte. Er öffnete seine Augen kurz, seufzte und schloss sie wieder. Einer der Herren, die ihn die Treppe hinaufgetragen hatten, hielt einen ramponierten Zylinder in der Hand. Der Wirt fragte wiederholt, ob denn niemand wisse, wer der Verletzte sei oder wo seine Freunde geblieben waren. Die Tür der Kneipe ging auf, und ein hünenhafter Wachtmeister kam herein. Eine Menge, die ihm durch die Gasse gefolgt war, versammelte sich vor der Tür und versuchte, einen Blick durch die Fensterscheiben zu werfen.
    Der Wirt begann sofort zu erzählen, was er wusste. Der Wachtmeister, ein junger Mann mit groben, unbeweglichen Gesichtszügen, hörte ihm zu. Er drehte seinen Kopf langsam nach rechts und links und vom Wirt zu der Person am Boden, als befürchte er, das Opfer einer Sinnestäuschung zu sein. Dann streifte er einen Handschuh ab, zog ein kleines Notizbuch aus seinem Gürtel, befeuchtete die Spitze seines Bleistifts mit der Zunge und schickte sich an zu notieren. Er fragte misstrauisch, und seine Aussprache klang ländlich:
    – Wer ist der Mann? Wie heißt er und wo wohnt er?
    Ein junger Mann in Radfahrerkleidung bahnte sich einen Weg durch den Ring der Umstehenden. Er kniete sofort bei dem Verletzten nieder und rief nach Wasser. Auch der Wachtmeister kniete sich hin, um zu helfen. Der junge Mann wischte das Blut vom Mund des Verletzten und rief dann nach etwas Brandy. Der Wachtmeister wiederholte die Anweisung mit gebieterischer Stimme, bis ein Kellner mit dem Glas gelaufen kam. Der Brandy wurde dem Mann eingeflößt. Nach wenigen Sekunden öffnete dieser die Augen und sah sich um. Er blickte in den Kreis von Gesichtern, und als er begriff, was los war, machte er Anstrengungen aufzustehen.
    – Geht’s Ihnen wieder besser?, fragte der junge Mann im Radfahreranzug.
    –

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