Duddits - Dreamcatcher
meine Lunchbox haben! Ich muss meinen Lunch haben!
»Nein, Duddits.« Sie gab sich Mühe, streng zu sein. »Du musst dich ausziehen und wieder ins Bett gehen. Das musst du, und sonst musst du gar nichts. Komm, ich helfe dir.«
Aber als sie näher kam, hob er die Arme und verschränkte sie vor seiner schmalen Brust, drückte seine rechte Handfläche an seine linke Wange und die linke Handfläche an die rechte Wange. Von frühester Kindheit an war diese Pose das Äußerste, was er an Trotz aufbringen konnte. Es reichte normalerweise, und so auch jetzt. Sie wollte nicht, dass er sich schon wieder aufregte und vielleicht wieder Nasenbluten bekam. Aber sie würde ihm um Viertel nach eins nicht seine Scooby-Doo-Lunchbox packen. Das kam nicht infrage.
Sie ging zu seinem Bett und setzte sich auf die Bettkante. Im Zimmer war es warm, aber ihr war, trotz des dicken Flanellnachthemds, kalt. Duddits ließ langsam die Arme sinken und beobachtete sie misstrauisch.
»Du darfst aufbleiben, wenn du willst«, sagte sie. »Aber wieso? Hast du geträumt, Duddits? Ein böser Traum?«
Vielleicht hatte er geträumt, aber bestimmt keinen bösen Traum, nicht bei diesem lebhaften Gesichtsausdruck, und jetzt erkannte sie es auch: So hatte er damals in den Achtzigern oft geschaut, in den guten Jahren, ehe Henry, Pete, Biber und Jonesy alle ihrer Wege gegangen waren, immer seltener anriefen und ihn noch seltener besuchten, während sie ihrem Erwachsenenleben entgegenstrebten und den vergaßen, der zurückbleiben musste.
So schaute er, wenn sein siebter Sinn ihm sagte, dass seine Freunde zum Spielen vorbeikommen würden. Manchmal gingen sie dann alle zusammen in den Strawford Park oder die Barrens (es war ihnen nicht erlaubt, dorthin zu gehen, aber sie taten es trotzdem, Alfie und sie wussten davon, und einer ihrer Ausflüge dorthin brachte sie alle auf die Titelseite der Zeitung). Hin und wieder fuhr Alfie oder jemand von ihren Eltern mit ihnen zum Minigolf oder zu Fun Town in Newport, und an solchen Tagen packte sie Duddits immer Brote und Kekse und eine Thermoskanne mit heißer Milch in seine Scooby-Doo-Lunchbox.
Er glaubt, dass seine Freunde kommen. Er muss wohl denken, Henry und Jonesy würden kommen, denn er sagt ja, dass Pete und Biber …
Plötzlich hatte sie ein entsetzliches Bild vor Augen, wie sie da auf Duddits’ Bett saß, die Hände im Schoß gefaltet. Sie sah sich selbst, wie sie auf ein Klopfen hin um drei Uhr nachts die Haustür öffnete, nicht aufmachen wollte, aber einfach nicht anders konnte. Und dann standen statt der Lebenden die Toten vor ihr. Da standen Biber und Pete, und sie waren wieder so alt wie an dem Tag, an dem sie sie kennengelernt hatte, an dem Tag, an dem sie Duddie vor Gott weiß was für einer Schweinerei gerettet und sicher nach Hause gebracht hatten. Vor ihrem geistigen Auge trug Biber seine Motorradjacke mit den vielen Reißverschlüssen und Pete den Pulli, auf den er so stolz gewesen war, den mit dem Aufdruck NASA auf der linken Brust. Sie standen kalt und blass vor ihr, in ihren Augen der stumpfe, traubenschwarze Blick von Leichen. Sie sah Biber vortreten. Er schenkte ihr kein Lächeln, ließ sich nicht anmerken, dass er sie kannte; als Joe »Biber« Clarendon seine fahle Seestern-Hand ausstreckte, wirkte er vollkommen geschäftsmäßig. Wir kommen Duddits holen, Mrs. Cavell. Wir sind tot, und er ist jetzt auch tot.
Ihre Hände verkrampften sich, und ein Schauer überlief sie. Duddits sah das nicht; er schaute jetzt wieder aus dem Fenster, und sein Blick wirkte eifrig und erwartungsfroh. Und ganz leise fing er wieder an zu singen.
»Uhbi-uhbi-duh, wo bistu? Ie ham etz wassu tun …«
10
»Mr. Gray?«
Keine Antwort. Jonesy stand an der Tür zu dem Büro, das nun eindeutig sein Büro war – es war keine Spur mehr von den Gebrüdern Tracker übrig, vom Schmutz der Fensterscheiben mal abgesehen (das Bild des Mädchens mit gelüpftem Rock war durch van Goghs Ringelblumen ersetzt worden) –, und wurde allmählich unruhig. Wonach suchte das Schwein?
»Mr. Gray, wo bist du?«
Wiederum keine Antwort, aber er hatte so das Gefühl, dass Mr. Gray wiederkam … und dass er sich freute. Die dumme Sau freute sich.
Das gefiel Jonesy überhaupt nicht.
»Hör mal«, sagte Jonesy. Er hatte die Hände immer noch an die Tür seiner Zuflucht gepresst und lehnte nun auch die Stirn daran. »Ich habe einen Vorschlag für dich, mein Freund – du bist doch schon ein halber Mensch –, wieso wirst du da nicht
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