Duddits - Dreamcatcher
verängstigt, eilte sie mit pochendem Herzen in sein Zimmer. Duddits saß wieder aufrecht im Bett und schüttelte verzweifelt wie ein Kind den Kopf hin und her. Das Nasenbluten hatte wieder angefangen, und bei jeder Kopfbewegung spritzten scharlachrote Tropfen umher. Sie sprenkelten seinen Kissenbezug, seine Autogrammkarte von Austin Powers ( »Groovy, Baby!«, stand unter dem Bild) und die Flaschen auf dem Nachttisch: Mundwasser, Prochlorperazin, Oxycodon, die Multivitaminpräparate, die keinerlei Wirkung zeigten, die große Schale mit Zitronen-Tupfern.
Jetzt war es Pete, der angeblich tot war, der süße (und nicht sehr helle) Peter Moore. Lieber Gott, konnte das wahr sein? Irgendwas davon? Alles?
Der zweite hysterische Traueranfall dauerte nicht so lange an wie der erste, wahrscheinlich weil Duddits vom ersten noch erschöpft war. Sie konnte das Nasenbluten wieder stillen, die Glückliche, und wechselte seine Bettwäsche, nachdem sie ihm auf den Stuhl am Fenster geholfen hatte. Dort saß er dann, schaute mit tränenden Augen hinaus in den wieder auffrischenden Sturm, schluchzte hin und wieder und gab ab und zu laute Seufzer von sich, die ihr im Herz wehtaten. Es tat ihr schon weh, wenn sie ihn nur ansah: wie dünn er war, wie blass er war, wie kahl er war. Sie gab ihm seine Red-Sox-Kappe – auf dem Schirm vom großen Pedro Martinez signiert (man bekommt so viele hübsche Dinge geschenkt, wenn man stirbt, dachte sie manchmal ) –, falls er, so nah an der Fensterscheibe, am Kopf fror, aber ausnahmsweise wollte Duddits sie nicht aufsetzen. Er hielt sie nur im Schoß und schaute mit großen, traurigen Augen hinaus in die Dunkelheit.
Schließlich brachte sie ihn wieder ins Bett, und wieder leuchteten die grünen Augen ihres Sohns in ihrem ersterbenden Glanz zu ihr hoch.
»Iet auch in Himmn?«
»Ganz bestimmt ist er das.« Sie wollte auf keinen Fall weinen – dann wäre bei ihm vielleicht alles von vorn losgegangen –, aber ihre Augen schwammen in Tränen. Ihr ganzer Kopf war tränenschwanger, und wenn sie einatmete, roch es in ihrer Nase nach Seeluft.
»Im Himmn bei Iehr?«
»Ja, Schatz.«
»Eff ich Iehr un Iet im Himmn?«
»Ja, das wirst du. Natürlich wirst du das. Aber das ist noch lange hin.«
Er schloss die Augen. Roberta saß neben ihm auf dem Bett, betrachtete ihre Hände und war trauriger als traurig, fühlte sich einsamer als einsam.
Jetzt eilte sie nach unten, und tatsächlich: Er sang. Da sie die Duddits-Sprache fließend beherrschte (wieso auch nicht? Es war seit über dreißig Jahren ihre zweite Mutter-Sprache), dolmetschte sie sich die gelallten Silben, ohne sich groß etwas dabei zu denken: Scooby-Dooby-Doo, wo bist du? Wir haben jetzt was zu tun. Ich hab’s dir doch gesagt, Scooby-Doo, wir brauchen deine Hilfe.
Als sie sein Zimmer betrat, wusste sie nicht, was sie dort zu erwarten hatte. Ganz bestimmt nicht, was sie dann vorfand: Alle Lichter brannten, und Duddits war zum ersten Mal wieder komplett bekleidet, seit es ihm das letzte Mal (und laut Dr. Briscoe war es wahrscheinlich wirklich das letzte Mal gewesen) etwas besser gegangen war. Er hatte sich seine Lieblingscordhose angezogen, sein Grinch-T-Shirt und seine Daunenweste und dazu seine Red-Sox-Kappe aufgesetzt. Er saß auf dem Stuhl am Fenster und schaute hinaus in die Nacht. Ohne eine Miene zu verziehen und ohne zu weinen. Er schaute mit strahlenden Augen und einer Beflissenheit hinaus in den Sturm, die Roberta an die Zeit lange vor seiner Erkrankung erinnerte, als sich die Krankheit erst mit unterschwelligen und leicht zu übersehenden Symptomen angedeutet hatte: wie kaputt und außer Atem er nach ein wenig Frisbee-Spielen im Garten war, was für große Schrammen selbst die leichtesten Rempler und Stürze hinterließen und wie langsam sie verheilten. So hatte er immer geguckt, wenn …
Aber sie konnte nicht weiterdenken. Sie war zu durcheinander, um klar denken zu können.
»Duddits! Duddie, was …«
»Amma! Ohs eine Anschocks?«
Mama! Wo ist meine Lunchbox?
»In der Küche, aber Duddie, es ist mitten in der Nacht. Es schneit draußen! Du gehst nicht …«
Raus, endete dieser Satz natürlich sonst immer, aber dieses Wort kam ihr nicht über die Lippen. Seine Augen leuchteten so, sein Blick war so lebendig. Vielleicht hätte sie sich darüber freuen sollen, dieses Strahlen, diese Kraft so deutlich in seinen Augen zu sehen, aber stattdessen war sie entsetzt.
»I muss mein Anschocks ham! I muss mein Ansch ham!«
Ich muss
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