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Duddits - Dreamcatcher

Duddits - Dreamcatcher

Titel: Duddits - Dreamcatcher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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eines Schiffs. Jonesy hörte die kurzen, zischenden Atemzüge des Fremden, der auf die geräumige Hütte zutaumelte, aus deren Schornstein gemächlich eine Rauchfahne stieg, die sich fast sofort im Schnee verlor.
    Jonesy stieg die an den Stamm des Ahorns genagelten Sprossen hinunter, das Gewehr am Riemen über der Schulter (auf die Idee, dieser Mann könne irgendeine Gefahr darstellen, kam er nicht, noch nicht; er wollte nur das Garand, ein feines Gewehr, nicht draußen im Schnee liegen lassen). Seine Hüfte war wieder steif, und als er am Fuß des Baumes angelangt war, war der Mann, den er beinahe erschossen hatte, schon fast an der Tür der Hütte … die natürlich nicht abgeschlossen war. Niemand schloss hier draußen seine Hütte ab.

5
    Gut drei Meter vor dem Granitblock, der als Eingangstreppe diente, fiel der Mann im braunen Mantel erneut zu Boden. Seine Mütze flog ihm vom Kopf und entblößte einen verschwitzten Balg schütterer brauner Haare. Er blieb für einen Moment auf einem Knie hocken, den Kopf gesenkt. Jonesy hörte ihn schnell und rasselnd atmen.
    Der Mann nahm seine Mütze, und als er sie eben wieder aufsetzen wollte, machte sich Jonesy mit einem Ruf bemerkbar.
    Der Mann stand schwankend auf und drehte sich vorsichtig und unbeholfen um. Jonesy hatte zunächst den Eindruck, der Mann hätte ein sehr längliches Gesicht, was die Leute so »Pferdegesicht« nannten. Als Jonesy dann näher kam, ein wenig hinkend, aber nicht richtig humpelnd (und das war auch gut so, denn der Boden wurde zusehends glitschig), wurde ihm klar, dass der Mann kein außergewöhnlich längliches Gesicht hatte, sondern vielmehr nur völlig verängstigt und sehr, sehr blass war. Der rote Fleck auf seiner Wange, den er sich gekratzt hatte, zeichnete sich deutlich ab. Er schien sofort sichtlich erleichtert, als er Jonesy auf sich zueilen sah. Jonesy hätte fast über sich selbst gelacht, weil er dort oben auf dem Hochsitz gestanden und sich Sorgen gemacht hatte, der Typ könnte ihm an den Augen ablesen, was beinahe passiert wäre. Dieser Mann las niemand etwas an den Augen ab, und es interessierte ihn auch eindeutig nicht, woher Jonesy kam und was er eben getan hatte. Der Mann sah aus, als hätte er Jonesy am liebsten umarmt und vor Rührung abgeknutscht.
    »Gott sei Dank!«, rief der Mann. Er streckte Jonesy eine Hand entgegen und schlurfte über die dünne Neuschneeschicht auf ihn zu. »O Mensch, Gott sei Dank, ich habe mich verlaufen, ich irre seit gestern durch den Wald, ich dachte schon, ich würde da draußen sterben. Ich … ich …«
    Er rutschte aus, und Jonesy packte ihn an den Oberarmen. Er war groß, größer als Jonesy, der einen Meter achtundachtzig maß, und war auch kräftiger gebaut. Trotzdem kam er Jonesy federleicht vor, als hätte die ganze Furcht ihn irgendwie ausgehöhlt und leicht wie einen Schmetterling gemacht.
    »Ganz ruhig, Mann«, sagte Jonesy. »Ganz ruhig. Sie sind in Sicherheit. Alles wird gut. Kommen Sie, wir gehen rein und wärmen Sie ein bisschen auf. Wie wäre das?«
    Als wäre »aufwärmen« das Stichwort gewesen, fing der Mann an, mit den Zähnen zu klappern. »G-g-gern.« Er versuchte zu lächeln, aber es wollte ihm nicht recht gelingen. Jonesy fiel wieder seine extreme Blässe auf. Es war an diesem Morgen durchaus kalt hier draußen, geringe Minusgrade, aber der Mann war kreidebleich. Die einzigen Farbtupfer in seinem Gesicht, von dem roten Fleck einmal abgesehen, waren die braunen Ringe unter seinen Augen.
    Jonesy legte dem Mann einen Arm um die Schultern, plötzlich mitgerissen von einem absurden, blödsinnigen Zutrauen zu diesem Fremden, ein Gefühl so stark, wie er es für seinen ersten Schwarm auf der Junior High empfunden hatte – Mary Jo Martineau, in einer ärmellosen, weißen Bluse und einem geraden, knielangen Jeansrock. Er war sich jetzt völlig sicher, dass der Mann nichts getrunken hatte – es war nur Angst (und vielleicht Erschöpfung), die ihn so unsicher gehen ließ. Doch er roch aus dem Mund – ein Geruch wie von Bananen. Es erinnerte Jonesy an den Äther, den er in den Vergaser seines ersten Autos gesprüht hatte, ein Ford aus der Vietnamkriegszeit, damit er an kalten Morgen ansprang.
    »Wir gehen rein, ja?«
    »Ja. K-kalt. Gott sei Dank sind Sie vorbeigekommen. Ist das …«
    »Meine Hütte? Nein, die gehört einem Freund.« Jonesy öffnete die lackierte Eichentür und half dem Mann über die Schwelle. Der Fremde keuchte, als ihm die warme Luft entgegenschlug, und seine

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