Duddits - Dreamcatcher
Zahnstocher, dass der wie der Kolben eines Motors zwischen seinen Lippen auf und ab fährt. »Traumfänger«, sagt er.
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»Traumfänger?«, fragte Owen. Seine Stimme schien, auch für ihn selbst, wie aus weiter Ferne zu kommen. Das Scheinwerferlicht des Humvees strich über die endlose Schneewüste vor ihnen, die nur durch die Reihe der gelben Rückstrahler Ähnlichkeiten mit einer Straße hatte. Traumfänger, dachte er, und wiederum füllte sich sein Kopf mit Henrys Vergangenheit, wurde er fast überwältigt von den Bildern und Geräuschen und Gerüchen dieses Frühsommertags:
Traumfänger.
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»Traumfänger«, sagt Biber, und sie verstehen einander auf Anhieb, wie das bei ihnen manchmal so ist, wie es ihrer (irrigen, wie Henry später erkennt) Meinung nach bei allen Freunden ist. Obwohl sie nie ausdrücklich über den Traum gesprochen haben, den sie alle gemeinsam während ihres ersten Jagdausflugs geträumt haben, wissen sie, dass Biber glaubt, er wäre irgendwie durch Lamars Traumfänger ausgelöst worden. Keiner hat je versucht, ihm das auszureden, zum einen, weil sie Biber nicht den Glauben an dieses harmlose Spinnennetz aus Schnüren rauben möchten, und zum anderen, weil sie gar nicht über diesen Tag reden wollen. Aber jetzt sehen sie alle ein, dass Biber damit doch wenigstens halbwegs recht hat. Tatsächlich verbindet sie ein Traumfänger, aber es ist nicht Lamars.
Duddits ist ihr Traumfänger.
»Los«, sagt Biber ganz ruhig. »Los, Jungs, keine Bange. Fasst ihn an.«
Und das tun sie, obwohl sie Angst haben – ein bisschen jedenfalls; auch Biber.
Jonesy nimmt Duddits’ rechte Hand, die so gut mit Maschinen umgehen kann, seit er auf der Berufsschule ist. Duddits guckt erstaunt, lächelt dann und schließt seine Finger um Jonesys. Pete nimmt Duddits’ linke Hand. Biber und Henry kommen hinzu und legen Duddits ihre Arme um die Taille.
Und so stehen die fünf da unter einer riesigen alten Eiche im Strawford Park, auf ihren Gesichtern Tupfer von Laubschatten und Junilicht. Sie sind wie Jungs, die vor einem wichtigen Spiel die Köpfe zusammenstecken. Die Softball spielenden Mädchen in ihren leuchtend gelben Trikots achten ebenso wenig auf sie wie die Eichhörnchen oder der fleißige Pennbruder, der sich da, Limobüchse um Limobüchse, eine Flasche für den Abend erarbeitet.
Henry spürt das Licht, das sich allmählich in ihm ausbreitet, und erkennt, dass seine Freunde und er dieses Licht selbst sind; sie erschaffen es gemeinsam, dieses liebliche Flackern von Licht und grünen Schatten, und Duddits strahlt von allen am hellsten. Er ist ihr Ball; ohne ihn gibt es keinen Prall und kein Spiel. Er ist ihr Traumfänger, er vereint sie. Henry wird das Herz voll wie nie wieder im Leben (und die Leere, die das hinterlässt, wird, je mehr Jahre sich rundherum aufhäufen, größer und dunkler werden), und er denkt: Geht es darum, ein verschwundenes geistig behindertes Mädchen zu finden, das wahrscheinlich nur seinen Eltern etwas bedeutet? Ging es darum, einen hirnlosen Schlägertyp umzubringen, sich zusammenzutun, um ihn irgendwie von der Straße abkommen zu lassen, und das, um Gottes willen, auch noch im Schlaf? Kann das alles sein? Etwas so Großartiges, so Wunderbares, und dann wird es für so lächerlich geringe Zwecke eingesetzt? Kann das alles sein?
Denn wenn dem so ist – das denkt er sogar noch in der Ekstase ihrer Vereinigung –, was nützt es dann? Welche Bedeutung konnte es dann überhaupt haben?
Dann wird das und alles Denken von der Wucht dieser Erfahrung beiseite gedrängt. Josie Rinkenhauers Gesicht ersteht vor ihnen, ein sich ständig wandelndes Bild, das sich zunächst aus vier unterschiedlichen Arten, sie zu sehen und sich an sie zu erinnern, zusammensetzt … und dann auch aus einer fünften, als Duddits versteht, um wen sie da so ein Theater machen.
Als sich Duddits einschaltet, wird das Bild hundertmal heller und schärfer. Henry hört jemand – Jonesy – keuchen, und er selbst würde auch keuchen, wenn er noch die Puste dazu hätte. Denn Duddits mag ja in mancher Hinsicht behindert sein, aber in dieser ist er es nicht; in dieser Hinsicht sind sie die armen, unbeholfenen Idioten und ist Duddits das Genie.
»O mein Gott «, hört Henry Biber rufen, und in seiner Stimme liegt sowohl Verzückung als auch Bestürzung.
Denn Josie steht hier bei ihnen. Ihre unterschiedlichen Auffassungen hinsichtlich ihres Alters haben sie in ein Mädchen von vielleicht zwölf Jahren verwandelt,
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