Duddits - Dreamcatcher
ging.
Henry war entweder eingeschlafen, bewusstlos oder mit seinem sterbenden Kindheitsfreund auf eigenartige Weise geistig vereint. Owen würde ihn nicht stören. Wäre er wach und ihm zur Seite, dann würde Henry vielleicht vor dem zurückschrecken, was jetzt zu tun war, zumal wenn Henry recht mit der Annahme hatte, dass sein Freund Jonesy noch am Leben war und sich in dem Gehirn versteckte, das der Außerirdische jetzt kontrollierte. Owen würde nicht davor zurückschrecken … und da seine telepathischen Fähigkeiten verschwunden waren, würde er Jonesy auch nicht um sein Leben betteln hören, wenn er denn noch da drin war. Die Glock-Pistole war eine gute Waffe, reichte aber nicht.
Das MP5 würde Gary Jones zerpflücken.
Owen nahm sich eines der Gewehre und noch drei Reservemagazine, die er sich in die Parkataschen steckte. Kurtz war jetzt nah, war nah und kam immer näher. Er schaute hinter sich auf die East Street und rechnete fast damit, dass der zweite Humvee dort wie ein grünbrauner Geist aus dem Schnee auftauchte, aber bisher war da nichts. Gelobt sei der Herr, wie Kurtz gesagt hätte.
Die Fenster des Hummer waren schon fast zugeschneit, aber er konnte die schemenhaften Umrisse zweier Menschen auf der Rückbank noch erkennen, als er im Laufschritt am Wagen vorbeikam. Sie hielten einander immer noch fest umarmt. »Lebt wohl, Jungs«, sagte er. »Schlaft schön.« Und mit etwas Glück würden sie noch schlafen, wenn Kurtz und Freddy kamen und ihrem Leben ein Ende setzten, ehe sie weiter ihrem Hauptziel nachjagten.
Owen blieb unvermittelt stehen, rutschte dabei im Schnee weg und hielt sich an der langen Motorhaube des Humvees fest. Duddits war eindeutig ein hoffnungsloser Fall, aber Henry Devlin konnte er vielleicht retten. Es war machbar.
Nein!, schrie eine Stimme in seinem Kopf, als er zurück zur Hintertür ging. Nein, dafür bleibt keine Zeit!
Aber Owen beschloss, darauf zu setzen, dass noch Zeit war – das Schicksal der ganzen Welt darauf zu setzen. Vielleicht, um noch ein wenig mehr Buße zu tun für die Porzellanplatte der Rapeloews. Vielleicht auch als Buße dafür, was er am Vortag getan hatte (diese nackten grauen Gestalten, wie sie um ihr abgestürztes Schiff herumgestanden und die Arme gehoben hatten, wie um sich zu ergeben); wahrscheinlich aber nur um Henrys willen, der ihm geweissagt hatte, sie würden Helden sein, und dann alles unternommen hatte, dieses Versprechen zu erfüllen.
Nichts da mit Mitgefühl mit dem Teufel, dachte er und riss die Hintertür auf. Nein, sein Mitgefühl kann sich dieses Schwein echt in den Arsch stecken.
Duddits saß ihm am nächsten. Owen packte ihn am Kragen seines mächtigen blauen Parkas und zerrte daran. Duddits purzelte seitlich auf den Sitz. Die Kappe fiel ihm vom Kopf und entblößte seine schimmernde Glatze. Henry, der Duddits immer noch umarmt hielt, landete auf ihm drauf. Er schlug die Augen nicht auf, stöhnte aber leise. Owen beugte sich vor und flüsterte ihm hektisch ins Ohr.
»Nicht aufsetzen! Um Gottes willen, Henry, bleib jetzt bloß liegen!«
Owen schloss die Tür wieder, trat drei Schritte zurück, legte das MG in der Hüfte an und feuerte. Die Fenster des Humvees zersplitterten und sanken dann in sich zusammen. Patronenhülsen fielen Owen klackernd vor die Füße. Er trat wieder vor und schaute durch das zerschossene Fenster auf die Rückbank. Henry und Duddits lagen immer noch da, nun nicht mehr nur mit Duddits’ Blut, sondern auch noch mit Krümeln von Sicherheitsglas bedeckt, und für Owen sahen sie wie die totesten Toten aus, die er je gesehen hatte. Owen hoffte, Kurtz würde zu sehr in Eile sein, um sich das genau anzusehen. Jedenfalls hatte er getan, was er konnte.
Er hörte einen lauten, metallischen Knall und musste grinsen. Jetzt wusste er, wo Kurtz war – an dem weggeschwemmten Straßenstück, an dem der Subaru verreckt war. Er wünschte sich inständig, Kurtz und Freddy wären mit voller Wucht auf den Subaru aufgefahren, aber so laut war der Knall leider nicht gewesen. Aber immerhin wusste er jetzt, wo sie waren. Mindestens eine Meile entfernt. Das war nicht so schlimm, wie er erwartet hatte.
»Mir bleibt noch genug Zeit«, murmelte er, und hinsichtlich Kurtz’ mochte das stimmen, aber was war mit dem anderen? Wo war Mr. Gray?
Das MP5 im Anschlag, den Riemen über der Schulter, lief Owen zu dem Pfad, der zu Schacht zwölf führte.
14
Mr. Gray hatte noch ein weiteres unschönes menschliches Gefühl entdeckt: Panik. Da
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