Duddits - Dreamcatcher
das dritte oder vierte Fenster gucken. Da war früher das Büro von Phil und Tony Tracker. An der Wand hängt immer noch ein Schwarzes Brett. Und Davey sagt, an dem Schwarzen Brett sind nur zwei Sachen: eine Landkarte von Neuengland, auf der die ganzen Lasterrouten verzeichnet sind, und ein Bild von Tina Jean Schlossinger, wie sie ihre Muschi herzeigt.«
Sie schauen ihn alle gebannt an, und Pete stellt die Frage, die allen auf der Zunge liegt. »Ist sie nackt?«
»Nein«, muss Jonesy zugeben. »Davey sagt, man könnte nicht mal ihre Titten sehen, aber sie hält sich den Rock hoch und hat keinen Schlüpfer an, und man kann es ganz deutlich sehen.«
Pete ist zwar enttäuscht, dass die diesjährige Homecoming Queen der Tigers nicht splitterfasernackt ist, dass sie sich aber den Rock hochhält, entflammt sie alle, spricht eine dunkel geahnte Vorstellung davon an, wie Sex wirklich funktioniert. Ein Mädchen konnte sich schließlich den Rock hochhalten; das konnte jedes Mädchen.
Jetzt stellt nicht einmal Henry mehr Fragen. Nur von Biber kommt jetzt noch eine Frage. Er fragt Jonesy, ob sie da auch bestimmt nicht hineingehen müssen, um das zu sehen. Da gehen sie schon auf die Auffahrt zu und laufen dann um das Gebäude herum auf die Freifläche, unaufhaltsam und blindlings wie eine Springflut.
5
Pete trank sein zweites Bier aus und warf die Flasche weit in den Wald hinein. Jetzt ging es ihm besser, und er stand vorsichtig auf und wischte sich den Schnee vom Hintern. Hatte sich sein Knie ein wenig entspannt? Es kam ihm so vor. Es sah natürlich schrecklich aus – sah aus, als würde da unter der Hose ein Hefeteig aufgehen –, fühlte sich aber ein bisschen besser an. Trotzdem ging er vorsichtig und ließ die Plastiktüte mit dem Bier lose neben sich baumeln. Da nun die leise, aber übermächtige Stimme, die darauf bestanden hatte, er müsse ein Bier trinken, zum Schweigen gebracht war, machte er sich wieder Sorgen um die Frau und hoffte, sie hätte gar nicht bemerkt, dass er fort war. Er würde langsam gehen und alle fünf Minuten oder so stehen bleiben und sich das Knie massieren (und ihm vielleicht gut zureden, es ermutigen, eine verrückte Idee, aber hier draußen kriegte das ja keiner mit, und schaden konnte es nicht), und so würde er zu der Frau zurückkehren. Dann würde er noch ein Bier trinken. Er schaute sich nicht zu dem umgestürzten Scout um und sah nicht, dass er DUDDITS in den Schnee geschrieben hatte, immer und immer wieder, während er dagesessen und an diesen Tag im Jahr 1978 gedacht hatte.
Einzig Henry hatte gefragt, warum das Bild der kleinen Schlossinger im leer stehenden Büro einer stillgelegten Spedition hängen sollte, und mittlerweile war Pete der Meinung, dass Henry nur gefragt hatte, um seiner Rolle als Cliquenskeptiker gerecht zu werden. Und bestimmt hatte er das nur einmal gefragt; die anderen, die hatten es einfach geglaubt – und warum denn auch nicht? Mit dreizehn hatte Pete schließlich sein halbes Leben lang auch an den Weihnachtsmann geglaubt. Und außerdem –
Pete blieb kurz vor der Hügelkuppe stehen, nicht, weil ihm die Puste ausgegangen wäre oder er einen Krampf im Bein bekommen hätte, sondern weil er plötzlich ein leises Summen im Kopf spürte, wie von einem Transformator, nur dass es etwas Rotierendes an sich hatte, ein leises Dud-dud-dud. Und nein, es war auch nicht »plötzlich« gekommen; er hatte so das Gefühl, das Geräusch schon eine ganze Weile zu hören und jetzt erst richtig wahrzunehmen. Und dann waren ihm ja auch so merkwürdige Gedanken gekommen. Die Sache mit Henrys Parfüm zum Beispiel … und Marcy. Eine gewisse Marcy. Er glaubte nicht, eine Marcy zu kennen, aber der Name schwirrte ihm plötzlich im Kopf herum, zum Beispiel als Marcy, ich brauche dich und als Marcy, ich will dich und vielleicht auch als verdammt noch mal, Marcy, bring mir die Sodaflasche.
Er blieb dort stehen und leckte sich über die trockenen Lippen, und die Tüte mit dem Bier hing ruhig neben ihm. Er schaute zum Himmel und war sich plötzlich sicher, dass er dort Lichter sehen würde … und tatsächlich waren sie da, aber nur zwei und auch nur sehr matt.
»Sag Marcy, sie sollen mir eine Spritze geben«, sagte Pete, in der Stille jedes Wort ganz genau betonend, und wusste, dass es genau die richtigen Worte waren. Er hätte nicht sagen können, warum oder inwiefern sie richtig waren, aber ja, das waren die Worte in seinem Kopf. War das der Klick, oder hatten die Lichter diese
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