Duddits - Dreamcatcher
Linie.
4
»Jonesy?«, rief Biber.
Keine Antwort. Mensch, es kam ihm vor, als wäre Jonesy schon lange weg. Das stimmte wahrscheinlich nicht, aber Biber konnte es unmöglich feststellen; er hatte an diesem Morgen vergessen, seine Armbanduhr umzubinden. Das war dumm gewesen – aber schließlich war er ja schon immer dumm gewesen, und allmählich hätte er sich mal dran gewöhnen können. Verglichen mit Jonesy und Henry waren Pete und er immer dumm gewesen. Nicht dass Jonesy oder Henry sie das je hatten spüren lassen – das war auch so was Tolles bei ihnen.
»Jonesy?«
Immer noch nichts. Wahrscheinlich fand er nur das Klebeband nicht gleich.
Eine fiese, leise Stimme in Bibers Hinterkopf sagte ihm, das hätte nichts mit dem Klebeband zu tun, Jonesy hätte gerade Reißaus genommen und ihn hier auf der Toilette sitzen lassen wie Danny Glover in diesem Film, aber er hörte nicht auf diese Stimme, denn so etwas würde Jonesy nie tun. Sie waren Freunde bis ans Ende.
Stimmt, sagte die fiese Stimme. Ihr wart Freunde. Und das hier ist das Ende.
»Jonesy? Bist du da, Mann?«
Immer noch keine Antwort. Vielleicht war das Klebeband von dem Nagel gefallen, an dem es gehangen hatte.
Und auch von unten kam nichts. Und, he, es war doch eigentlich auch nicht möglich, dass McCarthy irgendein Monster in ihr Klo geschissen hatte, oder? Dass er das – o Schreck! – Klomonster geboren hatte? Das hörte sich eher nach einer Horrorfilmparodie aus Saturday Night Live an. Und selbst wenn, dann war das Klomonster wahrscheinlich mittlerweile ertrunken – ertrunken oder untergetaucht. Ein Vers aus einem Buch fiel ihm plötzlich ein, aus dem sie Duddits vorgelesen hatten – immer abwechselnd, und glücklicherweise waren sie zu viert, denn wenn Duddits etwas mochte, konnte er nie genug davon bekommen.
»Iies Duuhl!«, rief Duddits dann und lief zu einem von ihnen, das Buch hoch über den Kopf erhoben, genau wie er am ersten Tag seine Lunchbox nach Hause getragen hatte. »Iies Duuhl! Iies Duuhl!« Was in diesem Fall bedeutete: Lies Pool! Lies Pool! Das Buch war McGilligot’s Pool von Dr. Seuss, und die ersten beiden Verszeilen lauteten: »Junger Mann, das sag ich dir gleich: / Es sind keine Fische in diesem Teich.« Aber es hatte darin durchaus Fische gegeben, zumindest in der Fantasie des kleinen Jungen in der Geschichte. Jede Menge Fische. Große Fische.
Aber keine Platscher mehr unter ihm. Und auch keine Schläge mehr an den Toilettendeckel. Und das schon seit einer ganzen Weile. Vielleicht konnte er einen schnellen Blick wagen, einfach nur kurz den Deckel heben und wieder zuknallen, wenn irgendwas –
Aber schön sitzen bleiben war das Letzte, was Jonesy zu ihm gesagt hatte, und daran wollte er sich halten.
Jonesy ist wahrscheinlich mittlerweile schon eine Meile von der Hütte entfernt, schätzte die fiese Stimme. Er ist schon eine Meile entfernt und gibt weiter Gas.
»Nein, das stimmt nicht«, sagte Biber. »Nicht Jonesy.«
Er rutschte ein wenig auf dem Toilettendeckel hin und her und lauerte darauf, dass das Ding hochsprang, aber das tat es nicht. Mittlerweile mochte es schon sechzig Meter entfernt sein und mit den Kackwürsten im Klärbehälter schwimmen. Jonesy hatte zwar gesagt, es sei zu groß, um unterzugehen, aber da keiner von ihnen es gesehen hatte, konnte man das unmöglich einschätzen, nicht wahr? Doch in jedem Fall würde Monsieur Biber Clarendon schön sitzen bleiben. Weil er es versprochen hatte. Weil die Zeit immer langsamer zu vergehen schien, wenn man sich Sorgen machte oder Angst hatte. Und weil er Jonesy vertraute. Jonesy und Henry hatten ihn nie gekränkt und sich nie über ihn lustig gemacht, weder über ihn noch über Pete. Und keiner von ihnen hatte auch je Duddits gekränkt oder sich über ihn lustig gemacht.
Biber prustete los. Duddits mit seiner Scooby-Doo-Lunchbox. Duddits auf dem Bauch, Pusteblumen pustend. Duddits, wie er durch den Garten lief, froh wie ein Vogel in den Bäumen, ja, und Leute, die Kinder wie ihn als Sorgenkinder bezeichneten, hatten im Grunde keine Ahnung. Er war jemand Besonderes, war ein Geschenk, das eine beschissene Welt ihnen gemacht hatte, in der man sonst aber auch gar nichts geschenkt bekam. Duddits war jemand ganz Besonderes für sie gewesen, und sie hatten ihn geliebt.
5
Sie sitzen in der sonnigen Küchensitzecke – die Wolken haben sich wie von Zauberhand verzogen –, trinken Eistee und sehen Duddits zu, der mit drei, vier großen Schlucken sein ZaRex trinkt
Weitere Kostenlose Bücher