Duden - Bücher, die man kennen muss. Klassiker der Weltliteratur
Romantik auf. Künstlerisch komplex wird
die Illusion einer mündlich vortragenden Erzählerstimme in den
in Sankt Petersburg spielenden späten Novellen (vor allem in dem
Mantel, 1843), in denen die Entlarvung gesellschaftlicher Missstände
und menschlichen Fehlverhaltens hervortritt. Das Groteske und die
Fantastik verweisen hier wie auch in den Komödien und dem Roman Tote Seelen (1842) auf den dämonologischen Kern der gogolschen Weltsicht. Mit seinen Werken »den Teufel zu bändigen«, das
gelang Gogol in den letzten Lebensjahren allerdings immer weniger. Von Ängsten und Selbstvorwürfen geplagt, verließ er Russland
mehrfach für längere Zeit, geriet aus dem psychischen Gleichgewicht und flüchtete sich, künstlerisch unproduktiv geworden, in politische, religiöse und moralische Ideen, die von den Zeitgenossen
als reaktionär abgelehnt wurden.
Tote Seelen OT Mjortwyje Duschi 1 0A18421
Deutschsprachige Erstausgabe 1846 1 Form Roman 1 Epoche Romantik
Der in Russland lebendigen Tradition des Schelmenromans verlieh
Nikolai Gogol mit dem Roman Tote Seelen eine neue, tiefgründige
Form. Seinen »Poem« untertitelten Roman konzipierte der von psychischen und religiösen Krisen erschütterte Autor als Epos der Reinigung der Seele.
Inhalt Der ehemalige Petersburger Kollegienrat Tschitschikow
führt sich in einer russischen Gouvernementsstadt in die Gesellschaft ein und macht bei Privatbesuchen fünf Gutsbesitzern den
sonderbaren Vorschlag, ihnen »tote Seelen«, kürzlich verstorbene Leibeigene, abzukaufen, die bis zur nächsten Revision weiter
in den Büchern geführt werden; nur in einem Fall bleibt er erfolglos.
Auf einem Ball sorgt der Gutsbesitzer Nosdrjow für erste Irritationen mit der laut zugerufenen Frage, wie viele Tote er eingekauft habe.
Weitere Gerüchte (u. a. über eine geplante Entführung der Tochter des Gouverneurs und über Tschitschikows Identität mit Napoleon) verbreiten sich schnell. Die alte Gutsbesitzerin Korobotschka,
die einzige Frau unter den Geschäftspartnern Tschitschikows, bringt
mit ihrer Befürchtung, die toten Seelen zu billig verkauft zu haben,
den Skandal endgültig ins Rollen. Fluchtartig reist Tschitschikow ab.
Erst am Ende des Romans erfährt der Leser den betrügerischen Hintergrund seiner Geschäfte: Tschitschikow wollte die gekauften Leibeigenen verpfänden und sich mit dem erschwindelten Kredit aus
dem Staub machen.
Aufbau Die eigenartige Platzierung der umfangreichen Biografie des Helden erst am Ende des Romans zeugt vom ursprünglichen
Plan, in Anlehnung an die Stationen Hölle, Fegefeuer und Paradies
in der Göttlichen Komödie (1321) von Dante Alighieri den Haupthelden in drei Bänden von der Sünde zu Reue und Vergebung zu führen.
Gogol hat indes nur die Negativität, die Schlechtigkeit der Gegen wart darzustellen vermocht - der wenig überzeugende zweite Teil
blieb Fragment, der dritte ist nie begonnen worden. Für den Autor
stand - anders als für die Leserschaft im 19. und 20. Jahrhundert -
nicht die Satire im Mittelpunkt, sondern ein religiöses Konzept. Die
Welt wird vor allem als trivial begriffen: Alles ist gewöhnlich, mittelmäßig, platt und geistlos. Trivialität aber ist bei Gogol das Merkmal
einer Welt, die gegen alles Transzendente abgeriegelt ist, aus der das
religiöse Heil, das Wahre und Sinnhafte vertrieben sind.
Ebenso wie die Komik im Werk stets mit der Trivialität der gezeigten Welt zusammenhängt, dienen auch die Eigentümlichkeiten
des grotesken Stils der Erniedrigung des nur scheinbar Geistigen,
Bedeutenden, Erhabenen. So sind die Figuren im Roman wahrhaft
»tote Seelen« in der ersten der beiden möglichen Bedeutungen des
Titels; die andere Bedeutung, nach der die Verstorbenen »tote Seelen« sind, ließ schon den Zensor empört auf die Unsterblichkeit
der Seele hinweisen. Das durch den Verkauf der »Seelen« erworbene Geld, dessentwegen sich der Held - nicht zufällig ein ehemaliger Zöllner (ein Hinweis auf das Neue Testament) - versündigt, wird
zum Sinnbild des Übels in der Welt.
Wirkung An Gogols Verbindung von Satire und Groteske knüpfte
in der frühen sowjetischen Literatur Michail Bulgakow an (Tschitschikows Abenteuer, 1922). Auch bei anderen Autoren erlebte das
Genre eine Renaissance bis in die späte sowjetische Zeit, so bei Ilja
Ehrenburg (Das bewegte Leben des Lasik Roitschwantz, 1928), Wladimir Woinowitsch (Die denkwürdigen Abenteuer des Soldaten Iwan
Tschonkin, 1969) und Fasil
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