Dübell, Richard - Eine Messe für die Medici
und ihr Heulen verwandelte sich in ein erbärmliches Schluchzen. Die andere Frau trat einen Schritt zurück. Ich nahm an, es handelte sich um Pratinis Frau. Während Beatrice ebenfalls auf die Gruppe zueilte und ich an der Tür stehen blieb, die von der Treppe in den Lagerkeller führte, kniete sich Pratini umständlich auf den Boden und nahm die Weinende sanft in den Arm. Als ich ihr Gesicht sah, erkannte ich sie: Es war die Frau von Umberto Velluti.
Der majordomus war neben mir geblieben. »Che cosa?«, fragte ich ihn. Der Mann dachte einen Augenblick nach, ob ich ins Vertrauen zu ziehen sei.
»Messere Velluti è morto«, sagte er dann dumpf.
»Morto? Tot?«, rief ich laut. »Was ist ihm denn zugestoßen?«
Pratini sah auf. Beatrice löste die wilde Umklammerung, mit der Monna Velluti ihren Bruder festhielt, und drückte sie an sich. Pratini maß mich mit einem Blick, der mich erschreckte.
»Er hat sich ertränkt«, sagte er dann rau. »Sie haben ihn soeben beim unteren Wehr aus dem Wasser geholt.«
Draußen in der Gasse bemerkte ich, dass ich den schwarzen Stein in der Faust hielt, den Beatrice vom Spielbrett genommen hatte. Den Stein, der der Grund für Sieg oder Untergang der Schwarzen gewesen wäre, wenn man das Spiel jemals beendet hätte. Ich überlegte einen Moment, dann steckte ich ihn in die Tasche.
4.
I
ch hätte über viele Dinge nachdenken sollen: Wie ein Mann, der das Wasser so sehr fürchtete, dass er einen Umweg in Kauf nahm, nur um den Fluss auf einer breiteren Brücke überqueren zu können, zum Vollstrecken seines Freitods ausgerechnet das Wasser wählte; darüber, dass Antonio Pratini es nicht wagte, mich den Behörden auszuliefern und sich und seine Schwester damit in Verdacht zu bringen, aber gleichzeitig Jana seinem Geschäftskonkurrenten Cerchi empfahl und damit das Risiko auf sich nahm, dass eine Verbindung von den Verschwörern zu ihm gezogen wurde; dass mich ein Bursche verfolgt hatte, dessen Gesicht die alten Narben von etwas aufwies, das in Bertoldos Gesicht die frischen Wunden verursacht hatte; dass die beiden Männer, von denen ich mir bei meinen Bemühungen Informationen erhofft hatte, jetzt tot waren; und dass der Einzige, der mir bisher wirkungsvoll geholfen hatte, nämlich Rudolf Gutswalter, in Wahrheit der Kompagnon von Janas Geschäftskonkurrenten Pratini war. Rudolf Gutswalter, dessentwegen ich mich unweit von Pratinis palazzo in einen Hauseingang drückte und darauf wartete, dass er von seiner Aufgabe auf dem Landgut seines Partners zurückkehrte.
Stattdessen dachte ich an Jana.
Beatrice hatte gesagt, der vergebliche Kampf der schwarzen Steine gemahnte sie an meine eigenen Bemühungen. Ich wusste, weshalb. Sie sah mich um Janas Leben kämpfen und glaubte nicht, dass ich auch nur die geringste Chance hatte. Ich dachte daran, wie Jana sich jetzt in diesem Moment auf eine weitere Nacht im Gefängnis einrichtete, Julia tröstete und versuchte, die Schmerzensschreie aus der Befragungskammer zu ignorieren. Es war schwer, nicht aufzuspringen und dem nächstbesten an die Gurgel zu gehen und zu schreien: »Lasst sie frei, sie hat nichts getan!« In meinem Hals saß ein heißer Klumpen, und es dauerte eine Weile, bis ich ihn endlich hinunterschlucken konnte.
Als es dämmrig wurde, gab ich die Warterei auf. Ich war schon lange vorher zu nervös geworden, um ein guter Jäger zu sein, der auf seine Beute lauert, und es war nur natürlich, dass ich damit aufhörte, meine ohnehin knappe Zeit zu verschwenden. Gutswalter konnte längst durch Pratini von meiner Anwesenheit in Kenntnis gesetzt worden sein und hinter dem Tor, bei dem ihn einer der zahllos in Pratinis Haus ein und aus gehenden Domestiken abgefangen hatte, auf die Dunkelheit warten; die Dunkelheit, die mich von meinem Ansitz vertreiben würde. Ich biss die Zähne zusammen und marschierte zum Fondaco zurück.
Vor dem Gefängnis machte sich die Delegation der bittstellenden Frauen abmarschbereit. Als ich Monna Cerchis vertrautes Gesicht sah, sank mir das Herz. Ich erkannte, wie sehr ich auf die Stärke ihres Mannes gehofft hatte – darauf und auf den Wahrheitsgehalt der Aussage, Jana würde nichts geschehen, solange er standhaft blieb. Seine Frau, nun verzweifelt statt aufgebracht wie gestern zu sehen, ließ mich das Schlimmste befürchten. Ich blieb unwillkürlich stehen.
Monna Cerchi wurde von zwei anderen Frauen getröstet. Ich tat einen Schritt auf sie zu, bis mir klar wurde, dass ich nicht mit ihr
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