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Dübell, Richard - Eine Messe für die Medici

Titel: Dübell, Richard - Eine Messe für die Medici Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Administrator
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Kopf und kletterte zu mir empor. Oben angekommen, sah er mir in die Augen und teilte mir ruhig mit, dass er vor mir wieder hinuntersteigen würde und dass ich einfach jeden seiner Handgriffe und Fußtritte nachmachen solle und dass ich ihm das Zeichen geben solle, wann ich soweit sei. Wir hätten es nicht eilig.
    Irgendwann fand ich das extra Quäntchen Kraft, ihm zuzunicken. Er stieg langsam hinunter, und ich folgte ihm wie eine Gliederpuppe. Er ohrfeigte mich nicht einmal, als ich sicher auf dem Boden stand.
    Der Strick war vor langer Zeit dort oben angebracht worden, und sicherlich war einmal ein Schaf oder eine Kuh oder ein Hund daran angebunden gewesen – als der Baum noch kleiner war, als er einer unter vielen Jungbäumen war und keine Jungenbande ihm die Kraft verliehen hatte, zum Galgenbaum zu werden.
    Ich erkletterte ihn nie mehr wieder. Ich erkletterte auch keinen anderen Baum mehr. Unsere Bande zerfiel, weil ich meinen Freunden nicht mehr in die Augen sehen konnte. Aber ich hatte gelernt, dass das Chaos stets über einen kommt, wenn man am wenigsten damit rechnet, und dass die Panik einen immer dann ergreift, wenn man auf sie nicht vorbereitet ist.
    Ich saß in der Kerkerzelle im Gefängnis von Florenz und krallte mich am feuchten Stein fest und flehte stumm um einen Retter, der mich von meinem Galgenbaum herunterholte.
     
     
    3.
     
    N
    ach einiger Zeit kamen die Wärter, um auch mich zum Verhörraum zu schaffen. Mir war so übel, dass mich nur meine Schwäche am Erbrechen hinderte. Die meiste Angst hatte ich vor dem Anblick, der mich erwarten mochte: Jana kahlrasiert, auf der Marterbank liegend, unzureichend in den Marterkittel gehüllt und sich vor Schmerzen windend. Ich wusste, dass die Richter auch bei Jana die gesetzlich vorgeschriebene Reihenfolge anwenden und mit der territio verbalis, dem Zeigen der Marterinstrumente, beginnen würden; und ich wusste, dass dieser Prozess keinesfalls bereits zur nächsten Stufe übergegangen sein konnte. Aber die Furcht arbeitet nicht mit dem Kopf, sie arbeitet mit dem Herzen, und was immer in meinem Kopf an rationalen Gedanken übrig geblieben sein mochte, konnte sich nicht gegen die Bilder durchsetzen, die mein Herz beherrschten. Der Verhörraum lag im Keller, ein enger, von rußenden Fackeln beleuchteter Raum, in dem die Schatten tanzten wie in Vorfreude auf die zu erwartenden Qualen. Ein Loch öffnete sich direkt nach oben, doch es war nicht zum Rauchabzug gedacht, sondern dafür, dass die Schmerzenslaute in die Kerkerzelle dringen konnten. Ich hatte das Loch im Boden nicht gesehen, als ich mich dort oben befand; dass es da war, hatte ich dennoch gewusst. Es gab eine Reihe weiterer Löcher in einer der Seitenwände; sie führten vermutlich zu einer Einzelzelle, in die man im Bedarfsfall einen Verhafteten verlegen konnte, um ihn allein und ohne den Trost seiner Leidensgenossen zum Zeugen der Befragung seines Vorgängers werden zu lassen. Über eine Rolle an einem der mächtigen Deckenbalken ging ein Seil zu einer Winde; das Seil hing straff durch den schweren Haken an seinem Ende, welcher sich in die Handfessel des Inquisiten einhaken ließ, sodass man ihn an den auf den Rücken gebundenen Händen hochziehen konnte. Die Aufziehvorrichtung war die zentrale Anordnung im Raum und das Instrument, um das sich die zweite und dritte Stufe des peinlichen Verhörs drehten: der trockene Zug mit einem Stein an den Füßen, dessen Gewicht unweigerlich die Schultergelenke ausrenkte und den man allein mit sich und Gott ertragen musste, während die Richter den Befragungsraum verließen und zu Abend aßen – der zweite Grad, die ziemliche Frage, die bei einem ausbleibenden Geständnis in den dritten Grad übergehen würde; wobei man aufgezogen hängen blieb, zu den bisherigen Qualen aber noch Rutenstreiche, das Abbrennen der Körperbehaarung oder Güsse mit brennendem Pech zu vergegenwärtigen hatte. Wenn einem der Folterknecht nicht Schwefelhölzer oder Kienstöcke unter Finger- und Fußnägel trieb und sie anzündete oder Feuer an die Pechpflaster setzte, die er einem auf die Fußsohlen geklebt hatte. Nichts von all diesen Dingen war zu sehen, nicht einmal der Stein; nur das Seil mit seinem beschwerten Ende hing von der Decke und bewegte sich sacht hin und her, und das nach oben gebogene Eisen des Hakens grinste. Am jenseitigen Ende der Kammer stand eine schwere, schmucklose Truhe, die den Richtern und Peinkommissaren als Schreibunterlage diente, um das Geständnis des

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