Duell auf offener Straße
Hunden leider nicht, aber die bellen auch nicht lautstark an der Leine, wenn ihnen ein anderer Hund entgegenkommt.
Angst
„Der ewige Rückzug“
Fragen Sie mal einen Spinnen- oder Schlangenphobiker, wie er sich verhält, wenn er das Objekt seiner Angst erblickt. Er wird es garantiert nicht auf eine Distanz von 50 Metern fixieren und imponierend direkt darauf zu gehen, um es dann aus allernächster Nähe lautstark zu bepöbeln. Ein Hund, der Angst vor anderen Hunden hat, macht so etwas auch nicht.
Ängstliche Hunde suchen ihr Heil zunächst in der Flucht.
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Angst ist die Hauptemotion von Stress und drückt sich unter anderem durch den Wunsch der Vermeidung aus. Körperliche Angstsymptome wie Herzrasen und Zittern sind nichts, was man gern erlebt. Kein ängstlicher Hund zieht an der Leine in Richtung eines entgegenkommenden Hundes, sondern wird bei dessen Anblick versuchen zu fliehen. Erst wenn er nicht mehr fliehen kann und von dem anderen Hund bedrängt wird, wird er sich aggressiv zur Wehr setzen. Mit niedriger Körperhaltung, zurückgelegten Ohren und eingezogenem Schwanz wird er für kurze Bisse vorschnellen und sich wieder zurückziehen. Hunde, die wirklich Angst vor anderen haben, brauchen therapeutische Hilfe, aber sicherlich kein Training gegen Aggression an der Leine.
Trauma
„Unwissenheit muss nicht blind machen“
Caspar lebte acht Jahre in einem kleinen Zwinger und wurde nur sehr selten an kurzer Leine durchs Dorf geführt. Zu anderen Hunden hatte er nur als Welpe Kontakt. Die permanente Bewegungseinschränkung ohne die Möglichkeit, dem zu entfliehen, hatte seine Folgen. Im Zwinger zeigte er aufgrund der Vernachlässigung und des Bewegungsmangels eine Stereotypie. Er sprang über lange Zeiträume am Tag aus dem Stand circa zwei Meter am Zaun hoch. Badam, badam, badam, kurze Pause, und dann ging es wieder los. Auf den seltenen und kurzen Spaziergängen drehte er durch, wenn er einen anderen Hund traf. Er war so frustriert und gestresst, dass er seine Aggression in hoher Intensität zeigte, vorschoss, geiferte, sich umdrehte, in die Leine biss und wieder vorschoss. Auch dieses Verhalten verlief stereotyp und hatte einen erkennbaren Rhythmus.
Psychische Erkrankungen nehmen auch bei Hunden zu und es wird Zeit für neue Wege in der Verhaltenstherapie.
(Foto: Nadin Matthews)
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Als Caspar acht Jahre alt war, verstarb sein Besitzer und der Collie kam ins Tierheim. Dort angekommen, verhielt er sich weiterhin wie gewohnt. Er zeigte sowohl im Zwinger als auch an der Leine seine typischen Muster. Das Tierheim entschied sich zu versuchen, Caspar in eine Hundegruppe zu integrieren. Er wurde nun an einen Maulkorb gewöhnt und sämtliche Vorsichtsmaßnahmen wurden für den Tag der Integration getroffen. Er wurde in das Gehege zu den anderen gelassen und die Befürchtungen erwiesen sich als unberechtigt. Caspar nahm Kontakt zu den anderen Hunden auf, interagierte angemessen mit ihnen, konnte sogar mit anderen Rüden gehemmt aggressiv kommunizieren und fand schnell seinen Platz innerhalb der Gruppe. Er verhielt sich völlig normal. Nur wenn die Hundegruppe auf vorbeilaufende Hunde am Zaun aggressiv reagierte, nahm Caspar nicht teil, sondern griff auf alte Muster zurück und sprang stereotyp am Zaun hoch. Das Tierheim hatte sich erhofft, dass Caspar aufgrund seiner neuen Lebenssituation mit ausreichendem Kontakt zu anderen Hunden und genügend Beschäftigung sein Verhalten an der Leine ändern würde. Aber die Leinenaggression auf den täglichen Spaziergängen blieb. Er unterschied dabei nicht zwischen Rüden, Hündinnen, Kastraten oder Welpen.
Innerhalb des Geheges war Caspar wie gesagt sozial verträglich, selbst wenn sich Menschen im Gehege aufhielten und sich mit allen Hunden beschäftigten. Aber bei den Versuchen, Caspar an die Leine zu nehmen und aus dem Gehege zum Spaziergang zu führen, geschah etwas Seltsames mit ihm: In dem Moment, als der Karabiner sein Ziel am Halsband fand, veränderte Caspar kurzum sein Verhalten und wollte direkt auf den nächstbesten Hund losgehen, auch wenn er sich mit diesem Hund vorher noch in freundlicher Interaktion befunden hatte.
Wenn man sich Caspars Geschichte ansieht, wird einem sofort klar, dass es sich bei seinem Verhalten nicht um eine normale Aggression handelt. Wäre er ein Mensch, würde einem der Begriff Trauma in den Sinn kommen.
Ein psychisches Trauma ist ein lebensbedrohliches Ereignis, das extreme psychische
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