Duell auf offener Straße
Hunde damit zurecht. Hunde, die es gewohnt waren, frei zu laufen und mit Artgenossen zu spielen, wurden nun an der Leine an den anderen vorbeigeführt. Menschen haben aus Angst um ihre Kinder die sogenannten Kampfhunde und ihre Halter auf der Straße bepöbelt. Auch die Presse hatte ihr Feindbild gefunden und tat ihr Übriges. Eigentlich gab es nur eine kleine gesetzliche Veränderung, dennoch hatte sie große Auswirkung auf die betroffenen Mensch-Hund-Systeme und maßgeblich auf das Verhalten der Hunde.
Gelerntes
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„Wenn Verhalten kein Motiv mehr braucht.“
Wenn ein Hund sein ursprüngliches Motiv nicht mehr braucht, um sich aggressiv zu verhalten, dann spricht man von einer gelernten Aggression.
Nehmen wir zum Beispiel eine territorial- und sexualmotivierte Aggression. Die Hündinnen Layla und Kira sind sich einig: Sie mögen sich nicht. Ihre jeweiligen Gärten liegen nur knapp 200 Meter voneinander entfernt. Kiras Besitzer haben keine andere Chance, sie müssen für den täglichen Spaziergang am Grundstück von Layla vorbei. Wenn Layla im Garten ist und Kira auf der anderen Seite des Zauns an der Leine vorbeigeht, zeigen beide, was sie draufhaben. Regina Halmich wäre beeindruckt. Wenn der Zaun nicht wäre, so befürchten die Menschen, würden sie sich zerfleischen. Am Anfang des Ganzen verließ Kira noch normal gelaunt ihr Grundstück und wurde erst beim Anblick von Layla aggressiv. Das ist lange her. Mittlerweile pumpt sie sich bereits an der eigenen Haustür auf, zieht auf dem Weg zu Laylas Garten an der Leine und atmet dabei auffällig laut. Wenn der Ort der Eskalation näher kommt, bekommt ihre Atmung einen leicht hysterischen Unterton und der ein oder andere Beller entfährt ihrer Kehle. Der Showdown beginnt mit dem Erreichen des fremden Gartenzauns. Kira hat eine Erwartungshaltung entwickelt – ein wichtiger Aspekt, wenn Aggression gelernt wird. Sie lernt in diesem Fall ortsgebunden, verknüpft also ihre Stimmung mit dem Ort. Der Anblick des Gartenzauns wird zum Auslöser. Und damit ist die Geschichte nicht zu Ende, denn selbst, wenn Layla mal nicht im Garten ist, pöbelt Kira am Gartenzaun praktisch ins Nichts. Sie braucht Layla nicht mehr als Anreiz; ihr reicht der Gartenzaun. Das ist das Ergebnis eines Lernvorgangs. Interessant wäre es, wenn Layla mitsamt ihrer Familie umzöge und eine neue Familie mit ihrem Hund einzöge. Die Chancen, dass Kira ihn hassen würde, stehen gut.
Eine gelernte Aggression wird durch neue Reize ausgelöst, die im ursprünglichen Konflikt erworben wurden.
Der Mensch und die eigenen Anteile am aggressiven Verhalten
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Wie Sie vielleicht festgestellt haben, ist die fachliche Beschreibung der Faktoren für das Verhalten des Hundes bereits ein großes Projekt. Wenn nun auch noch der Mensch dazukommt, wird es wirklich bunt. Denn wenn Menschen heutzutage von ihren Hunden sprechen, wird deutlich, wie eng sie mit ihnen zusammenleben und wie wenige Unterschiede es zu menschlichen Beziehungen gibt. Hunde haben sich zunächst von draußen in unsere Häuser und dann in unsere Herzen geschlichen. Die Beziehung zwischen Menschen und Hunden ist nicht mehr nur über die Domestikation zu erklären.
Von einigen seltenen Arbeitshunden oder reinen Prestigeobjekten mal abgesehen, leben sie mit uns in einem Familienverband. Und das, ob-wohl sie einer anderen Art angehören. Sachlich gesehen ist es leichter, Gründe gegen die Haltung eines Hundes zu finden als tatsächlich dafür. Sie haben keinen offensichtlichen Nutzen, sie riechen nicht immer gut, haben Parasiten, lassen sich von uns durchfüttern, müssen tierärztlich versorgt werden und benehmen sich häufig daneben. Ein deutscher Hund macht durchschnittlich in seinem Leben einen Umsatz von 10 000,00 Euro. Wir zahlen gern und nehmen sämtliche Umstände in Kauf. Und das nicht nur, weil wir so wahnsinnig nett sind, sondern weil wir Hunde für unsere emotionalen Bedürfnisse brauchen. Die Gründe für die Anschaffung eines Hundes können mannigfaltig sein und legen in hohem Maße den Grundstein für die gemeinsame Beziehung fest.
Anschaffungsgründe und Erwartungen des Menschen
Das Großartige an Hunden ist, dass sie im Prinzip eine Projektionsfläche für alles bieten. Sie können Menschen helfen, sich nicht einsam zu fühlen oder auch andere Menschen kennenzulernen. Sie geben menschlichen Paarbeziehungen mehr Verbindlichkeit, dienen als Kind- oder auch Enkelkindersatz. Sie können einen Teil der
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