Duell auf offener Straße
seinem Deutschen Jagdterrier. Der Kleine soll später zur Jagd auf Wildschweine, Füchse und Dachse eingesetzt werden. Die notwendigen Fähigkeiten dafür bringt er bereits mit. Er ist als Terrier in der Lage, sich ohne Vorlauf in einer jagdlichen Situation zu verlieren und ein Tier zu attackieren, das größer ist als er selbst. Sollte sich dieses Tier wehren und den Terrier angreifen, läuft dieser nicht weg, sondern schaltet vom Jagdmodus in Aggressionsverhalten um. Man kann ohne Übertreibung sagen, dass ein Deutscher Jagdterrier im Vergleich zum Labrador ein großes Aggressionspotenzial mitbringt. Darauf ist der Jäger nicht nur vorbereitet, es beschreibt sogar seine Erwartung an seinen kleinen Begleiter.
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Nun kommt es zu einer kurzen Übung, die sicherstellen soll, dass sich der Hund im Notfall eine gefundene Beute wegnehmen lässt. Die Trainerin wirft nun eine Kaustange in die Runde, die Hunde dürfen darauf herumkauen und die Hundehalter sollen nach einigen Minuten versuchen, ihrem angeleinten Hund die Beute wegzunehmen. Die Familie mit dem Labrador kommt als erste dran. Sie erwarten kein Problem und so nähern sie sich ihrem Welpen an durchhängender Leine. Dieser erscheint sehr beglückt über seine Situation mit der Kaustange und versucht diese aufrechtzuerhalten, springt beim Versuch der Annäherung beiseite. Dies wiederholt die Familie mehrfach und der Kleine sichert jedes Mal die Beute. Mindestens einer lernt etwas. Nun nehmen sie die Leine kurz und gelangen an ihren Hund und die Kaustange, doch bei dem Versuch, sie wegzunehmen, macht der Welpe ein kleines Geräusch, das man gemeinhin Knurren nennt. Was jetzt passiert, ist sehr entscheidend. Es kann sein, dass die Familie zurückschreckt, weil sie damit nicht gerechnet hat. Der Labrador mit seinen zehn Wochen verhält sich wider ihren Erwartungen aggressiv und hat damit Erfolg. Sie könnten aufgrund dessen zukünftig die Situation mit der Kaustange vermeiden, um nicht wieder mit dem falschen Bild konfrontiert zu werden. Oder sie reagieren mit Frust und Wut, agieren unverhältnismäßig und bewerten damit den kleinen Versuch des Hundes emotional. Auch daraus lässt sich die Wichtigkeit eines Verhaltens für den Hund ablesen.
Menschen haben oft größere Schwierigkeiten im Umgang mit Aggressionen als Hunde.
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Nun ist der Jäger mit seinem Terrier an der Reihe. Er weiß um die Fähigkeiten seines Hundes und wäre wahrscheinlich enttäuscht, wenn der Kleine in dieser Situation freundlich wäre. Andererseits weiß er auch, dass der Hund lernen muss, sich ihm gegenüber nicht aggressiv zu verhalten. Er geht also bereits von vornherein anders in den Konflikt. Er zieht seinen Welpen an der Leine heran, packt ihn so, dass er nicht gebissen werden kann, und holt sich unmissverständlich die Kaustange. Die Versuche des Terriers dagegen unterbindet er im Ansatz, lächelt dann aber und freut sich über die Hartnäckigkeit seines Hundes. Schließlich will er ihn so haben.
Zwei völlig unterschiedliche Reaktionen auf ähnliches Verhalten. Die Hunde werden dadurch auch Unterschiedliches lernen. Und so könnte letztendlich bei diesem Gedankengang herauskommen, dass der Labrador mit der genetisch „schlechteren“ Ausstattung im Aggressionsbereich eine Futteraggression entwickelt und der Deutsche Jagdterrier in diesem Bereich zukünftig keine Probleme zeigt. Das genetische Potenzial und die individuellen Motive des Hundes, sich aggressiv zu verhalten, sind nicht allein entscheidend. Die Anschaffungsgründe, die Erwartungen an den Hund und der Erziehungsstil des Menschen spielen ebenfalls eine wichtige Rolle.
Reaktionen und Gefühle des Menschen
Die Einstellungen des Menschen schlagen sich nieder in den Gefühlen, die er in Bezug auf das Problem hat, und in den Reaktionen, die er dem Hund gegenüber daraufhin zeigt. Nüchtern betrachtet, bellt doch nur ein Hund an der Leine. Wo ist das Problem? Es gibt keines! Wir könnten stolz auf unsere Hunde sein, schließlich ist es eine tapfere Leistung. Manche Menschen sehen es so und empfinden deshalb kein Problem. Andere leiden darunter – und die stellen wohl die Mehrheit dar.
Doch wie kommt es, dass Menschen Konflikte zwischen Hunden zu ihrem eigenen Problem machen? Nicht bei allen Tieren kommt es zu derartigen Übertragungen. Wenn ich nachts höre, wie eine fremde Katze versucht, unser Grundstück zu betreten, und lautstark von unseren Katzen attackiert wird, denke ich so etwas wie: „Tja, so
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