Duell der Leidenschaft
mir alles«, forderte ihre Tante sie auf, machte den Schlüssel an der Kette um ihre Taille fest und griff nach Sonias Händen. Sie setzte sich auf die untere Koje, da es die einzige zur Verfügung stehende Sitzgelegenheit war, und zog Sonia zu sich. »Hat sich dein Kaintuck wie ein rücksichtsloser Raufbold benommen? Hat er dir wehgetan? Was für ein Benehmen von ihm! In meinem ganzen Leben war ich noch nicht so schockiert gewesen wie heute Morgen, als ich es erfuhr. Dich über der Schulter zu tragen! Unerhört ist das!«
Sonia räusperte sich und sah auf ihre Hände. »Nein, er war nur ... einfach nicht aufzuhalten.«
»Da dachte ich, du bist in Sicherheit auf dem Dampfer nach Mobile, und machte mich bereit, um mich dir anzuschließen — natürlich auf eine gemächliche Art und Weise, um das Dienstpersonal nicht auf mich aufmerksam werden zu lassen. Als ich hörte, was geschehen war, bekam ich nahezu einen Krampf. Bist du dir sicher, dass er dir nichts getan hat, dieser Monsieur Wallace? Er hat dich doch nicht etwa beleidigt? Auf eine persönliche Art, meine ich.«
Sonia fragte sich, ob ihr Vater den Mann fortschicken würde, wenn sie eine solche Sache behauptete. Die Versuchung war groß, die Probe aufs Exempel zu machen. Aber das konnte sie nicht tun. Kerr Wallace hatte eine derartige hinterhältige Behandlung nicht verdient. Zudem würde er wohl kaum schweigen, wenn sie solche Anschuldigungen in die Welt setzte, und ihr Vater mochte durchaus geneigt sein, seiner Schilderung eher zu glauben als allem, was sie sich aus den Fingern saugen konnte.
»Nein, nein, nichts in der Art.«
Tante Lily schloss kurz die Augen. »Bien. Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie sehr es mich erleichtert, das zu hören. Etwas an seiner Art brachte mich ins Grübeln ...« Seufzend tätschelte sie Sonias Hand. »Aber das hat sich ja nun erledigt. Vielleicht ist er doch nicht ganz so barbarisch, wie ich es erwartet hatte.«
So ungern Sonia es auch tat, musste sie ihrer Tante in diesem Punkt zustimmen.
»Und nun scheint es, dass du allen Bemühungen zum Trotz doch nach Vera Cruz reisen wirst. Glaub mir, ma petite, es gibt für eine Frau Schlimmeres, als einen Mann heiraten zu müssen, der für sie ausgesucht wurde. Mir graust, wenn ich darüber nachdenke, was dir hätte zustoßen können, wärst du auf der Straße irgendeinem betrunkenen Grobian in die Hände gefallen. Oder stell dir vor, Monsieur Wallace wäre kein so anständiger Mann. Er hätte sich die Situation auf das Heimtückischste zunutze machen können.«
Sie wusste sehr gut, was ihre Tante meinte, und ihr war nur zu deutlich der Moment im Gedächtnis geblieben, als sie auf der Straße gelegen hatte und von seinem Gewicht zu Boden gedrückt wurde. Wäre ihr da nicht bereits seine Identität bekannt gewesen, dann hätte sie zweifellos das Schlimmste befürchtet. »Aber er hat es nicht gemacht«, gab sie zurück. Ihre Stimme zitterte ein wenig, als sie das sagte.
»Was für ein Segen, dass dein Papa einen vertrauenswürdigen und gewissenhaften Mann ausgewählt hat. Dennoch wird er das vielleicht nicht bleiben, wenn du ihn zu sehr provozierst. Komm, sag mir, du wirst vernünftig sein.«
»Das werde ich wohl sein müssen.« Sonia senkte ihren Blick, um ihr Einlenken zu demonstrieren, doch gleichzeitig hielt sie hinter dem Rücken ihre Finger gekreuzt.
»Oh, chere, du hast mein volles Mitgefühl, aber wir alle müssen irgendwann unser kindliches Verlangen aufgeben und unseren Weg gehen. Frauen können solche Dinge nicht erwarten, weil es so nicht auf der Welt zugeht.«
»Und was ist mit unserem Recht, unseren eigenen Weg zu wählen, wie wir leben und wen wir heiraten wollen? Du hast immer gesagt ...«
»Ein schönes Ideal, das muss ich zugeben, und es ist mein innigster Wunsch, dass es für uns alle so sein soll. Vielleicht wird es eines Tages so sein, doch diese Zeit ist noch nicht gekommen.«
»Eines Tages«, wiederholte Sonia nachdenklich.
Ihre Tante legte eine Hand an ihr Gesicht. »Ich fürchte, wir müssen realistisch sein und das Beste aus dem machen, was uns gegeben ist. Mit der Zeit gewöhnt man sich an alles, und Kinder aus einer Ehe sind immer ein großer Trost. Aber genug jetzt. Du musst mich dir helfen lassen, dich für den Tag anzukleiden. Eine Frau kann sich allem stellen, wenn sie richtig gekleidet ist.«
Sonia dachte daran, dass ihr Vater Tante Lily immer für ein unbeständiges Geschöpf gehalten hatte, das sich für kaum mehr als Männer,
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