Duell der Leidenschaft
Vater arbeitete. Vor drei Wintern war er an Schüttelfrost gestorben. Er glaubte, um die achtzig Jahre alt zu sein, doch so genau hatte er das nicht sagen können. Als Junge war er von einem Onkel in die Sklaverei verkauft worden, der seinen Vater und den älteren Bruder ermordet hatte, um sich zum Stammesführer in seinem afrikanischen Dorf aufzuschwingen. Er hatte sich nicht beklagt, zumindest sagte er das. Als Sklave führte man kein einfaches Leben, doch es war immer noch besser, als tot zu sein. So hatte sie ihn auf seine alten Tage kennengelernt — sie als sein Küken, sein Kätzchen, als das kleine Mädchen mit den Zöpfen, das ihn verehrt hatte, weil er es auf seine großväterliche Art liebte.
Alphonse hätte ihrer Heirat mit Rouillard nicht zugestimmt, und er hätte alles daran gesetzt, sie zu verhindern, indem er notfalls ihren Vater gedroht hätte, Schande über ihn zu bringen, bis er von dieser Idee Abstand nahm. Fonz mit seinen weißen Haaren und seinem gebeugten Rücken war eine diskrete Macht im Haus gewesen, hatte seine schützende Hand über Sonia gelegt, sodass ihr eine deutlich rauere Kindheit erspart blieb.
All diese Überlegungen benötigten nur Sekunden, um ihr durch den Kopf zu gehen, und sie wurden jäh unterbrochen, als sie hörte, wie Metall über Metall kratzte und dann ein vernehmliches Klick folgte.
Sie drehte sich um und starrte ungläubig zur Tür, die nur einen einzigen Schritt weit von ihr entfernt war. Sie umfasste den Griff und versuchte ihn zu drehen. Auch beim zweiten Anlauf tat sich nichts.
Die Tür war verschlossen.
Mit der flachen Hand schlug sie so fest dagegen, sodass sich bis zu ihrer Schulter ein Brennen im Arm ausbreitete. Dann wandte sie sich von der Tür ab und lehnte sich mit dem Rücken dagegen.
Einen Moment lang stiegen ihr Tränen in die Augen, doch sie sagte sich mit wütender Entschlossenheit, dass sie nicht weinen würde. In ihr regte sich der Wunsch, mit den Fäusten gegen die Tür zu trommeln, zu brüllen und dem Kaintuck übelste Flüche hinterherzuschicken.
Aber das wäre ebenfalls vertane Zeit, und sie würde völlig sinnlos ihre Kraft und ihre Leidenschaft vergeuden. Beides brauchte sie noch dringend, wenn sie einen Ausweg aus diesem Dilemma finden wollte. Und wenn sich an ihrem Schicksal nichts ändern lassen sollte, dann würde sie beides benutzen, um Kerr Wallace so zuzusetzen, dass er sich wünschte, nie geboren worden zu sein.
Sechstes Kapitel
Zwei Stunden waren vielleicht vergangen, seit Sonia eingesperrt worden war. Das Licht des neuen Morgens fiel durch das kleine Bullauge, erhellte das trostlose Gefängnis und ließ an der Decke Wasserspiegelungen tanzen, als auf einmal Abwechslung eintraf. Der Tonfall ihrer Tante machte deutlich, dass sie jemanden zurechtwies, der nicht sorgfältig mit ihrem Gepäck umgegangen war. Im nächsten Moment vernahm sie das laute Klappern von Schuhabsätzen draußen im Gang, durch den sich ihre Tante näherte. Die Tür wurde aufgeschlossen und aufgedrückt, dann kam Tante Lily in einem Schwall aus Unterröcken und Spitze hereingeeilt und brachte frische Luft in die Kabine.
»Ma petite, was ist denn los? Ich kann nicht glauben, dass du hier bist. Geht es dir gut? Bitte sag mir, dass alles so ist, wie es sein soll.«
Sonia sprang von der Koje auf und ließ sich von ihrer Tante in die Arme schließen, die sie mit einer nach Rosen duftenden Wolke einhüllte. »Ja, ja, es geht mir gut. Ich bin ja so froh, dich zu sehen.«
»Und ich erst, chere. Das kannst du mir glauben.« Ihre Tante tätschelte ihr die Schulter und schniefte ein wenig. »Du kannst dir nicht vorstellen, welchen Aufruhr es heute Morgen gab, als man gewahr wurde, dass du nicht da bist. Dein Papa wollte schon die Gendarmen kommen lassen, da traf Monsieur Wallace ein und konnte uns berichten, wo du dich aufhältst. Ich habe wie eine Verrückte gepackt, weil er darauf bestand, dass ich sofort mitkomme.«
»Wie umsichtig von ihm«, sagte sie in einem ironischen
Tonfall an den hünenhaften Kaintack gerichtet, der hinter ihrer Tante stand und ihr Gepäck in ähnlicher Weise auf der Schulter trug, wie er vor nicht allzu langer Zeit auch Sonia transportiert hatte. Er reagierte mit einem knappen Lächeln, als er in der Tür stehen blieb. In seiner freien Hand hielt er den Schlüssel zu der Kabine.
»Nun, so sehe ich das auch, denn er hätte sich nicht die Mühe machen müssen. Die meisten anderen Männer hätten sich damit begnügt, eine Nachricht zu
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