Duell der Leidenschaft
dem anderen Schiff zu beobachten. Dann nahm er das Fernrohr herunter und schob es ruckartig zusammen.
Kerr blieb ein paar Meter entfernt neben Tremont stehen.
Er hatte eine Ahnung davon, was hier ablief, doch er wollte keine voreiligen Schlüsse ziehen.
»Was ist hier los?«
Tremont deutete auf die Fregatte. »Der mexikanische Befehlshaber verlangt, dass wir beidrehen und zulassen, geentert zu werden.«
»Warum sollten wir denn das tun?« Kerr war erstaunt, dass Tremont in der Lage war, die Flaggensignale zu entziffern.
»Zwei Gründe«, antwortete der andere voller Ironie.
„Erstens sind wir unbewaffnet, und sie haben ihre Kanonen auf uns gerichtet.«
»Und zweitens?«
»Der Kongress der Vereinigten Staaten hat sich endlich geregt und Mexiko den Krieg erklärt.«
Sechzehntes Kapitel
Der einem Donnerhall gleichende Knall einer abgefeuerten Kanone ließ Sonia aufspringen, aber sie war nicht die Einzige. Auch Tante Lily machte einen Satz von der Sitzbank und stieß dabei einen gellenden Schrei aus. Madame Pradat schrie ebenfalls auf, dann ließ sie sich nach hinten fallen, sodass Gervaise sie auffangen musste. Madame Dossier legte schützend die Arme um ihre Kinder und beugte sich über sie.
Reverend Smythe faltete die Hände wie zum Gebet, während die anderen Gentlemen nicht so fromm reagierten.
»Beruhige dich, mamans, sagte Gervaise zu seiner Mutter, gleichzeitig verrenkte er sich fast den Hals, um durch das Fenster zu dem anderen Schiff zu schauen, auf das man immer nur einen kurzen Blick werfen konnte. »Wir wurden nicht getroffen. Nach dem Pulverrauch zu urteilen, würde ich sagen, es war ein Warnschuss von einer Kanone am Bug.«
Sonia hielt das für eine wahrscheinliche Erklärung, allerdings konnte sie sich den Grund dafür nicht vorstellen. Sie überkam der Wunsch herauszufinden, was da draußen los war. Mit einem flüchtigen Blick zu dem fremden Schiff stieg sie über die Sitzbank.
»Warte, chere, wo willst du hin?« Ihre Tante griff nach ihr und bekam den Saum ihres Schultertuchs zu fassen. »Wir sollten hier unten bleiben.«
»Ich will nur sehen, was sich da abspielt.«
»Du wärst nur im Wege, wenn Gefahr droht. Außerdem wird Mr. Wallace uns bestimmt berichten, was vorgefallen ist.«
Zweifellos würde er das machen, jedoch erst dann, wenn es ihm gefiel. »Ich werde nur kurz weg sein. Ich verspreche dir, ich bleibe nicht an Deck, wenn es Probleme gibt.«
Sie zog das Tuch aus dem Griff ihrer Tante und ging zügig dorthin, wo sich auf dem Deck die Gentlemen bereits versammelt hatten. Noch während sie auf dem Weg zu ihnen war, hörte sie, wie die Maschine des Schiffs auf Touren kam. Sie fühlte die plötzliche Vorwärtsbewegung, als sich die Schaufelräder schneller zu drehen begannen.
Das alles kam ihr keineswegs normal vor. Angst und Zweifel überkamen sie, vor allem als sie an Kerrs finstere Miene dachte, bevor er sie vor wenigen Minuten verlassen hatte. Mit einem Mal wünschte sie, in seiner Nähe zu sein, sich an seiner Seite und damit in Sicherheit zu befinden.
Dieser plötzliche Wunsch ließ sie verblüfft anhalten. Woher war diese Idee gekommen? Konnte es die Folge ihrer gezielten Bemühungen am Abend zuvor sein, ihn abzulenken, seine Geduld auf die Probe zu stellen und sein wahres Wesen zu entdecken? War das der Moment gewesen, als sie begonnen hatte, ihm so sehr zu vertrauen?
Ihr blieb keine Zeit, nach der Antwort zu suchen. Ein Offizier eilte an ihr vorbei in Richtung Achterschiff und stieß sie mit solcher Wucht mit seiner Schulter an, dass sie gegen das Schott taumelte. Er schien davon gar nichts mitbekommen zu haben. Sein Verhalten trug nur dazu bei, dass sie noch unruhiger wurde, was die derzeitige Lage anging.
Nachdem sie ihr Gleichgewicht zurückerlangt hatte, schaute sie sich um, konnte aber kaum etwas sehen, da das riesige Schaufelrad ihr die Sicht versperrte. Sie ging weiter in Richtung Heck und begab sich dann zu den Gentlemen an die Reling.
Die Gischt der See und Rauchschwaden brannten ihr in den Augen, der stechende Gestank von Schießpulver hing in der Luft. Sonia griff nach den umherflatternden Enden ihres Schultertuchs, kniff die Augen ein wenig zusammen und betrachtete die offene See hinter ihnen. Ein Stück weit von der Backbordseite entfernt befand sich das Verfolgerschiff. Es war schwarz, rot und gelb gestrichen, was ihm ein bedrohliches Aussehen verlieh. Was es mit diesem Schiff auf sich hatte, fand sie heraus, als sie die Wortfetzen dessen
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