Duell der Leidenschaft
ohrenbetäubend, als es tiefer in die Fluten eintauchte. Ein losgerissenes Segel oder ein Seil, an dem eine Seilrolle hing, schwang an Sonia vorbei und traf sie am Hinterkopf. Sie verlor den Halt und kippte nach vorn weg, sodass sie über die Reling fiel. Die kalte, tosende See griff nach ihr, um sie zu fassen zu bekommen und unter Wasser zu ziehen.
Die Wellen schlugen über ihr zusammen, das Wasser brannte ihr in den Augen. Ihr durchnässtes Schultertuch legte sich eng und schwer um sie und drückte ihr die Arme an den Körper. Panik kam in ihr auf, da sie merkte, dass sie unterzugehen drohte.
Mit aller Kraft riss sie an dem Stoff, zog ihn von ihrem Gesicht, von Hals und Handgelenk und stieß das Tuch von sich, damit es in den trüben Tiefen versank. Das Tuch ließ sich aber nicht so leicht abschütteln und hielt sie fest, als sei sie in einem Netz gefangen. Schließlich gelang es Sonia, unter dem Schultertuch wegzutauchen, es endgültig hinter sich zu lassen und an die Wasseroberfläche zurückzukehren. Das Schiff war kurz vorm Untergehen, als Sonia auftauchte. Sie konnte das Röcheln und Gurgeln des Wassers hören, das eine Kabine und einen Salon nach dem anderen flutete, dazu das erstickte Dröhnen der Dampfmaschine und den Lärm, den die Fracht verursachte, die sich von ihren Tauen losriss und gegen die Schotte geschleudert wurde. Durchdrungen wurde die lautstarke Geräuschkulisse von den Rufen und Schreien derer, die sich noch an Bord befanden.
Entsetzen überspülte sie wie eine eisige Welle. Sonia schrie dieses Entsetzen hinaus, ebenso ihre Wut auf ein solches Schicksal und ihren Zorn auf die Grausamkeiten des Krieges und seine sinnlosen Zerstörungen. Doch ihr Schrei war nicht mehr als ein kläglicher, bemitleidenswerter Ruf, der im Chaos unterging.
Sonia spürte, wie allmählich ihre Kräfte wichen, da das Gewicht ihrer durchnässten Röcke sie beharrlich in die Tiefe ziehen wollte. Sie musste sich von den Stoffen befreien, wenn sie nicht untergehen wollte, also tastete sie nach dem Rocksaum, um daruntergreifen zu können und die Schnüre ihrer Unterröcke aufzuziehen. Ein oder zwei lösten sich auch, doch andere Schleifen wurden zu unnachgiebigen Knoten.
Schluchzend zerrte sie an den Schnüren, während ihr vereinzelte Wellen bis ans Kinn schlugen und sie beinahe Wasser schlucken musste. Sie konnte die Küste sehen, und fast kam es ihr so vor, als könne sie sogar die Brandung hören. Oder war das vielleicht nur das Blut, das in ihren Ohren rauschte?
Das Wasser ringsum war voller Luftblasen, die aus dem Rumpf des sinkenden Schiffs aufstiegen. Planken und Holztrümmer trieben an die Wasseroberfläche und berührten Sonia, die sich umgeben sah von Dingen wie Hühnerkäfigen, Holzpaletten, Belegnägeln, Kopfkissen und sogar vom Schaukelpferd eines Kindes. Ein Mann schwamm im Wasser, ein anderer trieb reglos auf den Wellen. Von irgendwo hörte sie ein Knarren wie von einem Ruderboot.
Nichts davon erschien ihr real. Es konnte nicht real sein, oder etwa doch?
Das Wasser stand ihr bis zum Hals, ihre Haare trieben wie Seetang ausgebreitet auf den Wellen, da sich die Haarnadeln gelöst hatten. Es gelang ihr, sich von einem, dann von einem weiteren Unterrock zu befreien. Ihre Schuhe waren ihr abhandengekommen. Als sie mit den bloßen Füßen ruderte, berührten die etwas Weiches, Warmes, und sofort zog sie schaudernd die Beine an.
Plötzlich legte sich etwas Festes um ihre Taille und drückte ihr die Stäbchen des Korsetts so sehr gegen die Rippen, dass ihr die Luft aus den Lungen gedrückt wurde. Sie griff nach dem, was sie umschlossen hielt, und versuchte mit beiden Händen, sich aus der stählernen Umklammerung zu
lösen.
»Hören Sie auf damit, und lassen Sie mich Ihnen helfen.«
Kerr.
So überrascht war sie, seine Stimme zu hören, dass sie unwillkürlich nach Luft schnappte und damit Salzwasser schluckte, woraufhin sie ausspucken und husten musste. Seine tiefe Stimme hatte etwas Besänftigendes und Aufregendes zugleich, und sie fühlte sich durch sie von neuem Leben erfüllt. Inmitten des kalten Wassers strahlte sein Körper Hitze und gebändigte Kraft aus. Sonia drehte sich so hastig nach ihm um, dass auch sein Kopf von ihrem langen, nassen Haar umschlossen wurde.
»Meine Röcke«, keuchte sie. »Sie ...«
»Ich weiß. Atmen Sie nicht.«
Sie blickte nach unten und bemerkte, wie im Wasser etwas silbern aufblitzte. Augenblicke später fühlte sie, wie eine Klinge gegen ihre Taille gedrückt
Weitere Kostenlose Bücher