Duell der Magier 02 - Die Bahn der magischen Monde
bewegte. Er tauchte in den Schatten am Fuß des Kornspeichers, blieb einen Augenblick zögernd auf der Schwelle stehen und verschwand dann in dem Gebäude. Tuli blickte auf den toten Meßdiener hinab und schüttelte sich. Sie hielt sich an Teras Seite. Die Minuten verstrichen langsam. Selbst das Atmen war schmerzhaft.
Tesc erschien wieder im Eingang. Er nickte und blieb stehen, um auf sie zu warten.
'Teras kniete auf den Boden und drehte den Leichnam auf die Seite. Er schaute zu Tuli hoch, und seine Augen schimmerten feucht in dem gedämpften Schein der wolkenverhangenen Monde. Der Wind peitschte ihm das kurze Haar ums Gesicht. »Pack seine Beine, Tuli.« Er stand auf und drückte den Oberkörper des Jungen seitlich an sich. Die knochigen Beine schleiften am Boden zu Tulis Füßen. Sie unterdrückte ein weiteres Schaudern und überwand sich, sie hochzuheben. Ihr Zwillingsbruder blickte über die Schulter. »Fertig?«
Sie nickte. Als sie rasch die leere Straße überquerten, war sie sich des schlaffen, kalten, toten Fleisches nur allzu bewußt. Sie blickte hinab, sah dickes, schwarzes Haar, das sich über blasse Haut kringelte, sah lange, dünne Zehen, sah jeden Riß in der Hornhaut der Fersen, die fleckigen und krummen Zehennägel, die Schmutzflecken zwischen den Riemen der abgetragenen, schweißfleckigen Sandalen.
Tesc verschwand im Kornspeicher. Tuli schauderte es bei dem Gedanken an die Veränderungen, welche die vergangenen Wochen in ihrem Vater bewirkt hatten. Sein üblicherweise liebenswürdiges Gesicht war härter, magerer und auf eine Weise zornerfüllt geworden, die ihr manchmal Angst einflößte. Sie veränderte ihren Griff um die Beine des Meßdieners und betrachtete traurig den Rücken ihres Bruders. In ihm brodelte etwas vom gleichen Zorn. Er war es immer gewesen, der ihr Halt gegeben hatte, er der Vernünftigere mit einem übersprudelnden Sinn für Spaß und einer leiseren Freude am Lächerlichen. Wie die Veränderung bei ihrem Vater, so ängstigte sie auch die Veränderung ihres Zwillingsbruder, ja mehr noch, sie jagte ihr einen eisigen Schauer über den Rücken. Er ging, ohne sich nach ihr umzudrehen. Sie preßte die Lippen aufeinander, und das Gefühl, etwas verloren zu haben, fraß sich noch tiefer in sie hinein.
Teras machte einen Bogen um das Außenfeuer. Tuli folgt ihm unbeholfen, während ihre Finger sich um die dünnen Beine des Jungen verkrampften. Diese neuen Dinge, die sie gezwungenermaßen gelernt und erfahren hatte, das Töten und die Fähigkeit der Menschen, einander wehzutun, die Sachen, die sie an ihrem Vater und ihrem Bruder kennenlernte, schlugen zurück auf ihre Erinnerungen und besudelten sie. Alles hatte sich geändert. Nichts blieb unerschütterlich. Sie blinzelte gegen ihre Tränen an, konzentrierte sich auf die Gegenwart und darauf, wachsam zu sein und reaktionsbereit, sofern es vonnöten wäre.
Sie schleppten sich an der Halle entlang, die der Wölbung der Außenmauer folgte, neu getäfelt und neu gestrichen war, so daß sie nach Farbe stank, nach hochglänzender, weißer Farbe, in der sich die Schatten und Umrisse der kleinen, hoch an den Wänden angebrachten Lampen verfingen. Die feuchtklebrige Farbschicht fing sie ein wie Sonnentau Insekten zum Mittagessen. Der süße, übelkeitserregende Geruch von Räucherwerk wehte ihnen entgegen und vermischte sich mit dem Farbgestank. Als sie in den Versammlungsraum bogen, mußte Tuli aufkommende Übelkeit niederkämpfen und konzentrierte sich so sehr auf ihren revoltierenden Magen, daß sie erst gar nicht sah, was sie erwartete. Teras ließ die Schultern des Meßdieners mit einem angewiderten Zischen fallen. Tuli ließ sofort die Beine los und rieb sich die Hände an der Jacke.
Der Agli lag auf seiner Matte ausgestreckt, sein Kopf ruhte dicht neben einem Kessel, aus dem schwerer, öliger Rauch aufstieg. Der Rauch strich langsam über den hageren Mann dahin und umklammerte die reglose Gestalt mit zerfetzten, schwarzen Krallen. Der Geruch war so stark, daß ihr schwindelig wurde. Sie hielt sich die Nase zu, um den Gestank und den übelkeitserregenden Rauch nicht einzuatmen.
Der Agli hatte die Augen geöffnet, schien jedoch nichts zu sehen. Tesc stellte sich über ihn und betrachtete ihn angewidert - angewidert und befriedigt.
»Was ist das?« Tuli deutete auf den Kessel.
Tesc schnaubte verächtlich. »Tidra.« Er stellte sich neben den Kopf des Agli. »Bei den Tiluns streuen sie eine Prise davon ins Feuer, um die Leute
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