Duell im Eis
einem niedrig fliegenden Hubschrauber kann man alles sehen!« schrie Schesjekin in das Mikrofon hinein.
»Bleib ganz ruhig«, sagte Malenkow.
»Ich bin ruhig, Jurij. Ich sehe keinen Grund, nervös zu sein.«
»Wenn sie landen, Genossin Berreskowa –«, setzte Schesjekin an, aber sie unterbrach ihn mit fester Stimme.
»Wenn die Amerikaner landen«, sagte sie und warf dabei einen Blick auf die an der Wand lehnende MP von Henderson, »werden sie nicht mich, sondern ich sie überraschen. Eine gute Maschinenpistole habe ich neben mir.«
»Ljuba, keine Dummheiten!« rief Malenkow entsetzt. »Gegen fünf Hubschrauber kommst du nicht an! Das sind mindestens zehn Mann!«
»Aber keine zehn Maschinenpistolen, Jurij. Sie wollen suchen, aber nicht schießen. Pistolen werden sie bei sich haben, aber ich habe zwei volle Magazine und eine Maschinenpistole. Und ihre Überraschung nutze ich aus. Mir helfen ein paar Sekunden …«
»Sie wird nicht schießen!« sagte plötzlich eine männliche Stimme auf englisch dazwischen. »Außerdem drehen die Hubschrauber ab.«
Schesjekin und Malenkow sahen sich entgeistert, mit weiten Augen an. Das grüne Lämpchen am Funkgerät erlosch. Ljuba Alexandrowna hatte ausgeschaltet.
»Was … was war denn das?« stotterte Schesjekin. »Das war ja englisch. Wer hört denn da mit? Die Amerikaner haben unsere Frequenz! Malenkow!« Schesjekin schnappte nach Luft, ein Riesenfisch, der an Land geworfen war. »Was hat er gesagt?«
»Ich kann kein Englisch, Genosse Admiral.« Malenkow nagte an der Unterlippe und ordnete seine zahlreichen jagenden Gedanken. Am Abend keine Verbindung zu Ljuba, in der Nacht keine Reaktion, am späten Morgen ihre verschlafene Stimme, der gezielte Stich mit Virginias Busen, ihre Fröhlichkeit – ja, alles paßte zueinander, wie in einem einfachen Mosaik, ein simples Puzzle. Der Schlußstein war die männliche Stimme, eine amerikanische. Ein Wunder? Ein Wahnsinn? Unser Untergang?
»Die Stimme kam aus Ljubas Station, Genosse Admiral«, sagte Malenkow und schaltete auch sein Funkgerät aus. »Die Amerikaner kennen unsere Frequenz nicht.«
»Das … das gibt es doch nicht, Jurij Adamowitsch!« Schesjekins Stottern verleitete Malenkow dazu zu nicken. »Das ist unmöglich! Ein Amerikaner bei Ljuba Alexandrowna?«
»Der Pilot von Nummer zwei«, sagte Malenkow trocken.
»O Himmel, sie ist in seiner Gewalt!«
»Umgekehrt möchte ich das sehen.« Malenkows Gesicht bekam einen resignierenden Ausdruck. »Die Genossin Berreskowa ist wie eine Spinne: Sie frißt die Männchen auf.«
Schesjekin setzte sich ächzend auf einen Stuhl und bedeckte die Augen mit beiden Händen. Seine Erschütterung war echt, tief und niederdrückend. So unterhöhlen uns die Amerikaner, dachte er. Eine neue Taktik. Sie besiegen uns im Bett! Wer kann dagegen an? Die stärkste Waffe eines Mannes ist der Schwanz. Wohin sind wir gekommen … »Ein Kommando sofort zur Station«, sagte er schwach. Er machte plötzlich einen schwerkranken Eindruck. Malenkow empfand Mitleid mit ihm. »Nurian soll es führen. Ljuba Alexandrowna und dieser … amerikanische Spion werden verhaftet! Ins Gesicht sollte man sie spucken! Sofort ein Trupp zur Station!« Schesjekin erhob sich, warf noch aus hohlen Augen einen langen Blick auf Malenkow, schüttelte den Kopf, als begreife er das alles nicht, und verließ mit schweren Schritten den Raum.
Und Malenkow lächelte. Er dachte an Virginia und an das gnädige Schicksal, das alle Probleme gelöst hatte und vier Menschen miteinander verband.
Hatte es alle Probleme gelöst? Da war noch Moskau, da war noch eine Mauer vor dem Paradies, aber Moskau war jetzt weit, weit weg.
Commander Brooks weigerte sich, die Wahrheit anzuerkennen, die sich ihm bot. Mit versteinertem Gesicht hockte er in der Kanzel seines Hubschraubers, und während Sergeant Jess unentwegt herumkreiste und immer wieder die gleichen Stellen überflog, empfing Brooks die Meldungen der anderen vier Suchflugzeuge.
»Nichts, Sir.«
»Keine Trümmer, Sir.«
»Es gibt hier keinen Meter, den wir nicht abgeflogen hätten, Sir.«
»Dann fliegt jeden Zentimeter ab!« schrie Brooks in das Mikrofon. »Ein Hubschrauber und ein Mensch können nicht einfach verschwinden!«
Noch eine halbe Stunde lang kreisten sie wieder über den Eisfeldern und der zerklüfteten Mauer, um Brooks diesen Gefallen zu tun und nicht zu sagen: »Sir, es ist doch vergebens. Wir müssen uns damit abfinden. Dieser Eisberg ist verflucht.«
Eine
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