Duell im Eis
Erklärung des Phänomens, daß zwei Menschen und ein Helikopter spurlos verschwunden waren, gab es nicht. Man begriff es einfach nicht, und mit diesem Rätsel mußte man nun leben. Vielleicht gab das Eis eines Tages Miß Allenby und Oberleutnant Henderson frei, wenn das Eis im Südpazifik schmolz, wenn der Koloß von Berg auseinanderbrach, wenn er zusammenschrumpfte. Aber wie lange dauerte das? In drei Jahren, in fünf Jahren? Wann schmelzen 12.800 Kubikkilometer Eis? Eine Frage, die nur theoretisch zu beantworten ist.
Brooks saß am Ende der Suchaktion zusammengesunken auf seinem Sitz und stierte vor sich hin. Schon lange tastete er mit dem Feldstecher nicht mehr das Eis ab, aber Jess flog noch immer seine Kreise und wartete auf ein Wort des Commanders. Ab und zu schielte er zu ihm hin, empfand mit ihm den bohrenden Schmerz der Enttäuschung und zuckte deshalb zusammen, als Brooks laut sagte: »Jess, es hat keinen Sinn mehr. Wir brechen ab. Zurück zur Basis.« Und durch das Mikrofon rief er den anderen Hubschraubern zu: »Ende der Aktion. Wir fliegen zurück!«
Noch einen letzten großen Bogen flogen sie, dann überquerten sie wieder die furchtbare Eismauer. Die anderen vier Hubschrauber schlossen sich an, und in Formation zogen sie in Richtung Küste – das war der Augenblick, in dem Vizeadmiral Schesjekin aus den Fugen geriet –, schwenkten dann ab und knatterten in Sichtweite der Küste auf ›Big Johnny‹ zu.
Zum Mittagessen erschien Brooks nicht im Kasino. Er blieb in seinem Containerhaus und sprach über Funktelefon mit General Seymore. Jedes Wort, das er sagte, klang in ihm wie ein Schmerz wieder. Obwohl Brooks nur 14 Jahre älter war, hatte er Ric wie einen Sohn angesehen, und nun, da Washington dem Jungen seinen fatalen Fehltritt verziehen hatte und der Weg frei war zu einer großen militärischen Karriere, flog er davon ins Nichts, ohne ein Zeichen, ohne eine Spur, als sei er nie auf dieser Erde gewesen. Wer konnte das begreifen?
»Es gibt keine Hoffnung mehr, Sir«, sagte Brooks, nachdem er Seymore alles eingehend geschildert hatte. »Wir müssen uns damit abfinden, so ungeheuerlich es auch klingt. Wir haben alles abgesucht, glauben Sie mir.«
»Ein Hubschrauber mit einem Menschen kann sich nicht einfach in Luft auflösen, Brooks!« sagte Seymore hart. Er war noch in der Phase, wo man Derartiges nicht einfach hinnehmen kann. »Das gibt es nicht!«
»Ich bin gern bereit, Sir, mit Ihnen noch einmal alles abzufliegen.«
»Überlegen Sie doch mal: Wir leben auf einem Eisberg! Auch wenn er 156 Kilometer lang und 40 Kilometer breit ist – man kann ihn überblicken. Natürlich nicht an einem Tag! Henderson kann wer weiß wo heruntergegangen sein, bei einer Fläche von über 6.280 Quadratkilometern hat er Platz genug. Suchen Sie weiter, Commander.«
»Es besteht keine Hoffnung mehr, Ric noch lebend zu finden, Sir.«
»Dann bringen Sie mir den toten Ric! Und den Hubschrauber! Ich weigere mich, es hinzunehmen, daß beide so einfach verschwunden sind. Nicht die geringste Erklärung gibt es dafür.«
»So habe ich auch gedacht, Sir.« Brooks starrte gegen die Zimmerwand und trank einen Schluck Whiskey. Die Kälte des Fluges lag noch in seinen Knochen. »Wir stehen vor einem Rätsel.«
»Kann Henderson sich verirrt haben und ist ganz woanders gelandet?«
»Ric war mein bester Pilot, Sir. Ich halte das für unmöglich.«
»Die Instrumente können versagt haben. Bei dieser Kälte, unter diesen extremen Bedingungen ist alles möglich. Die Elektronik spielte verrückt, und Ric kam völlig vom Kurs ab. Als er das merkte, ist er herunter und wartet jetzt auf Rettung.«
»Dann hätte er längst gefunkt.«
»Auch das Funkgerät fällt aus.«
»Es hat eine eingebaute Notbatterie, die tut's immer, Sir.«
»Es muß eine Erklärung geben, Brooks.« General Seymore trommelte mit den Fingern auf den Tisch, Brooks hörte es deutlich im Telefon. »Erst stürzt Mulder ab, und Miß Allenby verschwindet spurlos. Das wäre noch zu erklären. Aber dann macht sich Henderson auf die Suche nach Miß Allenby, fliegt vier Tage lang herum und ist plötzlich auch verschwunden. Da ist doch etwas faul, Brooks!«
Brooks hob die Schultern, hilflos und wie ermattet. »Ich kann nicht mehr, Sir«, sagte er. »Natürlich können wir den ganzen Berg absuchen, nach allen Seiten, aber wir werden nichts finden. Vor allem am anderen Ende, in dem zerklüfteten Eisgebirge, ist jede Suche sinnlos. Wenn Ric hier abgestürzt ist, liegt er
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